Zum 175. Geburtstag von Friedrich Dittes

von Roland Schmidt

 
Sein Name ließ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Herzen der Volksschullehrer höher schlagen, denn er stand mit seinen Reden und Schriften wie kein anderer für die Verwirklichung ihrer Wünsche für eine bessere Schule für die Kinder des einfachen Volkes: Friedrich Dittes. Seine Wiege stand im vogtländischen Irfersgrün, wo er am 23. September 1829 – vor 175 Jahren – als siebentes Kind eines Pechsieders und seiner Ehefrau zur Welt kam. Die häuslichen Verhältnisse waren von Armut geprägt und ließen den späteren Lebensweg des Jungen eigentlich nicht erwarten. Doch der Irfersgrüner Lehrer und der Pfarrer des Dorfes erkannten die große Begabung des Knaben. Sie förderten ihn nach Kräften und überzeugten auch den Vater, seinen Sohn aufs Plauener Lehrerseminar zu schicken. Hier begann Dittes´ Weg zu einem der entschiedensten Streiter für schulpolitischen und pädagogischen Fortschritt. Ob als Volksschullehrer in Thalheim, Reichenbach oder Plauen, oder später als Student für das höhere Lehramt an der Universität Leipzig, als stellvertretender Rektor der Chemnitzer Realschule, oder noch später als Lehrerbildner in Gotha und von 1868 bis zu seinem Tode am 15. Mai 1896 in Wien – immer erwies er sich als ein unerschrockener Kämpfer für eine bessere Erziehung der jungen Generation. Mutig und entschieden vertrat er allen Widrigkeiten zum Trotz seine Positionen, und auch mögliche negative Folgen für seine Person schreckten ihn nicht. Es ging ihm stets um die Sache, und im Streit um von ihm richtig erachtete Positionen kannte er keine Kompromisse. Diese Haltung brachte ihn oft in harschen Gegensatz zu staatlichen und kirchlichen Kreisen, und schließlich führte sie 1884 auch zu seiner von der Reaktion erzwungenen vorzeitigen Pensionierung. Dittes´ Lebensmaxime „Nicht rückwärts und abwärts, sondern vorwärts und aufwärts!“ ließe sich mit vielen Beispielen belegen, seine für das sächsische Schulwesen bedeutendste Tat soll hier stellvertretend für andere stehen. Anfang Oktober 1864 fand in Chemnitz die XII. Allgemeine Sächsische Lehrerversammlung statt, auf der Friedrich Dittes als Vorsitzender des Pädagogischen Vereins Chemnitz ein Hauptreferat zum Thema „Die deutsche Sprache und Literatur auf den sächsischen Lehrerseminaren“ hielt. Dazu hatte er – von vielen Kollegen tatkräftig unterstützt – die Lehrpläne aller Seminare sorgfältig analysiert sowie Urteile von Lehrkräften und Seminaristen eingeholt. Dittes schätzte ein, dass der Deutschunterricht in den Ausbildungsstätten für die Volksschullehrer nur ein Bruchteil des für die Lehrer nötigen muttersprachlichen Wissens und Könnens vermittelte, während dem Religions- und Musikunterricht übermäßig viele Wochenstunden zur Verfügung standen. Die Behandlung der klassischen deutschen Literatur war verboten, und die methodische Befähigung der angehenden Lehrer, die deutsche Sprache zu unterrichten, hielt er für mangelhaft. Nicht frei gebildete Lehrer, sondern „Schulhandwerker“, die notdürftig zugerichtet sind, seien die bedauernswerte Folge dieser Entwicklung, führte er aus. Natürlich beschränkte sich Dittes nicht nur auf die Kritik, sondern er unterbreitete auch seine Vorstellungen, die unhaltbaren Zustände zu ändern: Höhere Stundenzahlen für den muttersprachlichen Unterricht in den Seminaren, wissenschaftlichen Grammatik- und Stilistikunterricht durch qualifizierte Pädagogen, intensives Studium der Werke Goethes, Schillers und anderer Vertreter der deutschen Klassik und Wiedereinführung des Lateinunterrichts in das Lehrprogramm der Seminare mit dem Ziel, über die Fremd- die Muttersprache besser zu begreifen. Alle diese Punkte wurden von Dittes ausführlich begründet und zu der abschließenden Aussage geführt, dass nur bei einer tüchtigen Bildung der Lehrer auch die Wohlfahrt der Schule und der in ihr lernenden Kinder gesichert ist. Die 1700 Teilnehmer der XII. Allgemeinen Sächsischen Lehrerversammlung nahmen Dittes´ Rede mit Begeisterung auf, hatte er doch mit klugen Worten und kämpferischem Pathos aus ihren Herzen gesprochen. In großer Einmütigkeit verabschiedeten sie eine Resolution, die eine gründliche Reform der Ausbildung an den sächsischen Seminaren forderte. Das rief die konservativen Kräfte im sächsischen Kultusministerium auf den Plan. Sie sahen in Dittes´ Auftreten einen Angriff auf die Schulpolitik der Regierung, und Kultusminister Johann Paul Freiherr von Falkenstein erwog, gegen den Redner disziplinarisch vorzugehen. Doch Friedrich Dittes ließ sich nicht einschüchtern. Er beharrte auf seinem Standpunkt, denn die Wahrheit lag auf seiner Seite. Diese Tatsache zwang letztlich auch die Schulbehörden zu einem doppelten Spiel. Einerseits ließ sie weiterhin nichts unversucht, Dittes zu verketzern, andererseits beauftragte sie insgeheim die sächsischen Seminardirektoren, die Konsequenzen von Dittes´ Forderungen zu überdenken. Das geschah in den folgenden beiden Jahren und bewirkte ein Umdenken der Lehrerbildner im Sinne der Chemnitzer Tagung. 1868 verfügte das Kultusministerium die ersten Korrekturen in der Ausbildung der Seminaristen, bevor 1873 in Sachsen eine neue Seminarordnung eingeführt wurde, die alle Vorschläge Dittes´ zur verbindlichen Norm erhob. Mit seiner kritischen und richtungsweisenden Rede auf der Chemnitzer Lehrertagung 1864 hatte sich Friedrich Dittes bleibende Verdienste um die sächsische Seminarausbildung und damit um die Hebung des Niveaus des Volksschulunterrichts erworben. Mit dieser Leistung und vielen anderen Aktivitäten im Sinne des schulpolitischen und pädagogischen Fortschritts erwarb sich Friedrich Dittes hohes Ansehen unter der Lehrerschaft. Es war somit folgerichtig, dass der Sächsische Lehrerverein 1898 – zwei Jahre nach dem Tod des Pädagogen – in seinem Geburtsort Irfersgrün ein würdiges Denkmal einweihte. Auch heute, am 175. Geburtstag von Friedrich Dittes, wird es mit frischen Blumen geschmückt sein und so den großen Sohn des Vogtlandes ehren.