Obstbaumzucht am Plauener Lehrerseminar

von Roland Schmidt

 
„O was für Segen würde sich über unser Land ausbreiten, wenn ein Seminarium könnte aufgerichtet werden, darinnen die künftigen Schulleute zum wenigsten ein Jahr lang unterrichtet und sonderlich zum thätigen Christentum angeführt würden.“ Mit diesen Worten hatte bereits 1717 der Dresdner Superintendent Valentin Ernst Löscher (1673 – 1749) Lehrerbildungsstätten gefordert, deren Nutzen er nicht nur in einem besseren Unterrichtsniveau der dort ausgebildeten Volksschullehrer sah. Vielmehr betrachtete er die dort ausgebildeten Lehrer auch als wichtige Multiplikatoren von Bildung und Erziehung in allen Schichten der Bevölkerung. Doch erst sieben Jahrzehnte später – 1787 – wurde in Dresden-Friedrichstadt das erste staatliche Lehrerseminar Sachsens gegründet. An den Lateinschulen anderer Städte wurden befähigte Schüler, denen aus sozialen Gründen von vornherein der Weg zur Universität verwehrt war, in besonderen Klassen in Didaktik und Katechetik unterwiesen und so auf eine Tätigkeit als Volksschullehrer vorbereitet. Diese Klassen wurden nach 1800 zu Keimzellen weiterer Lehrerseminare. Das traf auch auf die Plauener Lateinschule zu, dessen „Lehrerklassen“ im Februar 1810 – vor 200 Jahren – durch König Friedrich August I. ihre offizielle Anerkennung als „Voigtländisches Schullehrer-Seminarium“ erfahren hatte. Neben den altsprachlichen Studien förderte sie um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auch die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Schüler, vor allem auch unter dem Aspekt ihres Nutzens für das tägliche Leben. So warb Magister Moritz Erdmann Engel (1767 – 1836), der vor seiner Tätigkeit als Stadtdiakon als Lehrer an der Lateinschule wirkte, nicht nur im Unterricht, sondern auch in volkstümlichen Schriften für die Förderung von Flachsanbau (1821) und Schafzucht (1828), und speziell auch für den Obstbau im Vogtland. Wiederholt publizierte er im „Vogtländischen Anzeiger“ Aufsätze zur Veredelung und Pflege von Obstbäumen. Sein eigener Garten am Straßberger Tor galt weithin als mustergültige Einrichtung, von der viele Impulse für den Obstbau im Vogtland ausgingen. Doch mit diesen in Theorie und Praxis realisierten Ansichten stand Engel keineswegs allein. So forderte 1821 der um das Plauener Schulwesen hochverdiente Superintendent Johann Friedrich Wilhelm Tischer (1767 – 1842), die künftigen Volksschullehrer zielgerichtet im Obstbau zu unterweisen. Ein geschickter Gärtner sollte die Seminaristen das Setzen, Okulieren und Veredeln von Obstbäumen lehren, damit sie ihre Erkenntnisse in ihren künftigen Einsatzorten nicht nur an die Kinder, sondern vor allem an die Erwachsenen weitergeben konnten. Er hoffte, auf diesem Weg dem damals noch schwach entwickelten Obstbau im Vogtland aufzuhelfen und das Nahrungsangebot für die Bevölkerung zu bereichern. Doch es vergingen nochmals 50 Jahre, bis diese Gedanken Wirklichkeit wurden. Zwar besaß das Plauener Lehrerseminar an seinem 1845 errichteten Gebäude in der Seminarstraße einen Garten mit schmackhaften Obstsorten. Doch schlechter Boden sowie mangelhafte Sorgfalt des Gärtners brachten nur bescheidene Erträge, und auch die kleine Baumschule kam nicht recht voran. Das änderte sich 1875 mit der Anstellung des Hausmeisters Friedrich Wilhelm Männich (1824 – 1900), der gleichzeitig als Wirtschaftsleiter des Seminars und des dazugehörigen Internats fungierte und mit seiner Frau Amalie für das leibliche Wohl der Seminaristen sorgte. Er war nicht nur ein begeisterter Gärtner, sondern auch ein kundiger Obstbaumzüchter, war er doch Mitbegründer und späterer Geschäftsführer des Bezirksobstbauvereins der Amtshauptmannschaft Plauen. Unter Männichs Leitung wurde der gesamte Obstgarten des Seminars umgestaltet, darüber hinaus führte er regelmäßig Abendkurse durch, an denen er seine umfassenden Kenntnisse an die angehenden Lehrer weitergab. Dabei bediente sich der gelernte Weber selbstgefertigter Lehrmittel, als sei das Unterrichten seine eigentliche Profession. Auf etwa 20 Anschauungstafeln in der Größe eines A-3-Blattes hatte er die verschiedenen Arbeitstechniken der Baumveredelung und die dafür nötigen Werkzeuge gezeichnet. Darüber hinaus hatte er Modelle entwickelt, mit deren Hilfe die Seminaristen das Pfropfen erlernten. Die ihm dafür 1883 auf der Landwirtschaftsausstellung in Zwickau zuerkannte Goldmedaille spornte ihn zur Entwicklung weiterer Modelle an, so dass den Plauener Seminaristen bald eine vollständige Anschauungsreihe über das Leben der Pflanzen von der ersten Keimbildung bis zur vollkommenen Ausbildung der Frucht zu Verfügung stand. Männich plädierte für die alten, in der Heimat bewährten Pflanzen. Er empfahl auch, sich auf eine begrenzte Zahl der Sorten zu beschränken, da sich ein Zuviel nachteilig auswirke, und er bewies den Seminaristen, dass bei entsprechender Pflege auch im Vogtland vortreffliches Obst reifen kann. Sehr bald hatte Männich, der auch als Rosenzüchter hervortrat, einen Stamm begeisterter Gartenjünger unter den Seminaristen herangezogen, die ihm in der jetzt sechsjährigen Seminarzeit manchen gärtnerischen Kniff abschauten. Auch einige Seminarlehrer besuchten Männichs Kurse, und ihr Direktor Hermann Friedrich Römpler (1836 – 1914) schrieb wiederholt Worte hoher Anerkennung über diese „Nebentätigkeit“ seines Hausmeisters. Natürlich gelang es Männich nicht, alle Seminaristen in gleicher Weise für den Obstbau zu gewinnen. Das war ihrem jugendlichen Alter geschuldet, in dem Gartenarbeit oft nicht interessant erscheint. Doch manche Seminaristen haben dieses Desinteresse später bereut, entweder als nunmehrige Besitzer eines eigenen Gartens oder wenn sie auf einschlägige Fragen von Bürgern ihrer Schulgemeinden keine Antwort wussten. Als Friedrich Wilhelm Männich 1887 in den Ruhestand trat, wurde seine Obstbaumzucht von Julius Otto Tottewitz († 1908) weitergeführt, dem auch die Aufgabe oblag, ab 1899 die Baumschule in den Garten des neuen Seminargebäudes am Dittrichplatz umzusetzen. Männichs Anschauungstafeln wurden nach seinem Tod der (späteren) Versuchs- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Berlin-Dahlem übereignet. Bedeutsamer für das Vogtland waren freilich die vielen Hobby-Gärtner, die sich an wachsenden Obsterträgen freuten, ohne zu wissen, dass sie diese nicht allein ihrem eigenen Fleiß und Können verdankten, sondern auch einem „Nebenprodukt“ des Plauener Lehrerseminars und dessen kundigen Hausmeisters.