Johann Gottfried Wild leitete 32 Jahre die Plauener Lehrerbildungsstätte

von Roland Schmidt

 
Der Erwerb einer höheren Bildung war in vergangenen Zeiten meist das Vorrecht vermögender und wohlhabender Schichten. Doch dieses ungeschriebene Gesetz wurde immer wieder auch von Ausnahmen durchbrochen, indem auch Söhne sozial benachteiligter Eltern eine höhere Bildung erwarben und später in führenden Positionen des gesellschaftlichen Lebens tätig waren. Das traf auf Julius Mosen in gleicher Weise zu wie auf Friedrich Dittes und Carl Todt, um nur drei bekannte Vogtländer zu nennen. Ihre Bildungs- und Erziehungswege verliefen durchaus unterschiedlich, drei Dinge hatten sie aber gemeinsam: Sie kamen aus einfachen, materiell unbemittelten Familien, sie fanden in der Person von Lehrern oder Pastoren verständnisvolle Förderer ihrer Begabung, und sie hatten schließlich auch Eltern, die ihnen unter eigenen Entbehrungen eine höhere Schulbildung ermöglichten. In diese Reihe gehört auch Johann Gottfried Wild, der Sohn einfacher Bauern aus Zwoschwitz, der 32 Jahre die Geschicke des Plauener Lehrerseminars leitete und darüber hinaus in sächsischen Pädagogenkreisen einen guten Ruf besaß. Johann Gottfried Wild wurde am 10. Juli 1802 in dem bei Plauen gelegenen kleinen Dorf geboren, und er erhielt dort auch seinen ersten Unterricht. Dieser wurde von einem "Kinderlehrer" erteilt, also von einem Lehrer, der in Ermangelung eines Schulhauses gezwungen war, die Kinder reihum in den Häusern der Bauern zu unterweisen und selbst mehr oder weniger von den Almosen der "Gastgeber" zu existieren. Der kleine Johann Gottfried fiel ihm wegen seiner geistigen Regsamkeit auf, und er konnte dessen Eltern überzeugen, ihren Sohn aufs Plauener Lyceum zu schicken. Von Ostern 1816 bis 1822 war das "Voigtländische Kreisschulhaus" am Schulberg seine Unterrichtsstätte, und unter der Leitung von Rektor Wimmer erwarb er eine solide Ausbildung in Latein und Griechisch. Da er sich für ein Theologiestudium interessierte, nahm er auch Hebräischstunden, die ebenfalls Rektor Wimmer erteilte. Dagegen lag die damals am Lyceum bereits praktizierte Ausbildung von Lehrern - sein späteres Lebenswerk - noch außerhalb seiner Interessen. 1822 begann Wild in Leipzig seine theologischen und philosophischen Studien, nach deren Abschluss (1825) blieb ihm aber eine sofortige Anstellung als Pfarrer versagt. Wie viele seiner Studienfreunde, die ebenfalls auf eine frei werdende Stelle als Geistlicher warteten, versuchte er, diese Zeit als Hauslehrer bei der Augsburger Bankiersfamilie Schmidt zu überbrücken. Aus dieser anfänglichen Notlösung wurde jedoch bald die Berufung fürs Leben. 1828 kehrte er als Lehrer nach Plauen zurück, und drei Jahre später trat er seinen Dienst am Lyceum mit der Aufgabe an, die angehenden Volksschullehrer zu unterrichten. Diese Vorbereitung von Lehrern für die vogtländischen Volksschulen erfolgte am Plauener Lyceum schon seit 1810, indem befähigte Gymnasiasten, die sich aus sozialen Gründen ein Universitätsstudium versagen mussten, zusätzlichen Unterricht in Pädagogik erhielten. Als das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts am 8. April 1835 die Trennung des Seminars vom Lyceum verfügte, wurde Johann Gottfried Wild die Leitung des nunmehr staatlichen Lehrerseminars anvertraut. Dieses Amt war alles andere als leicht. Zwar zählte die neue Einrichtung, die am 12. Mai 1835 ihre Tätigkeit aufnahm, zunächst nur 34 Seminaristen, die von fünf Lehrkräften in zwei Klassen unterrichtet wurden, doch sie verfügte anfangs nur über notdürftige Unterrichtsräume. Vorerst musste sie sich mit drei gemieteten Zimmern im Eckhaus Neundorfer Str./ Königstraße begnügen. Später zog das Seminar ins Steinsche Haus und schließlich ins Alte Amtshaus, beide auf dem Amtsberg gelegen. Direktor Wild wusste, dass die fehlende feste Heimstatt nicht nur die Qualität der Ausbildung in engen Grenzen hielt, sondern die Existenz des für das vogtländische Schulwesen wichtigen Seminars überhaupt in Frage stellte. 1839/40 sprach das Dresdner Ministerium ganz offen über Pläne, die Einrichtung nach Wiesenburg bei Schneeberg zu verlegen. Diesem Ansinnen trat Wild mit aller Kraft entgegen. Er mobilisierte die Städte des Vogtlandes, in Petitionen an den Landtag den Verbleib des Seminars in Plauen zu sichern, und er hatte schließlich Erfolg. Am 2. Mai 1844 wurde in der Seminarstraße der Grundstein für ein eigenständiges Lehrgebäude gelegt, wobei Johann Gottfried Wild die Weiherede hielt. Anderthalb Jahre später, am 29. Oktober 1845, nahm er mit nunmehr 54 Schülern, die von sieben Lehrkräften in vier Klassen unterrichtet wurden, von der neuen Ausbildungsstätte Besitz. Ein zehnjähriger beharrlicher Kampf hatte den erhofften Erfolg gebracht. Eng damit verbunden war Wilds Ringen um eine geeignete Übungsschule für das Seminar. Dort sollten die angehenden Lehrer Gelegenheit haben, ihre theoretischen Kenntnisse in praktischer Unterrichtstätigkeit zu erproben. Nach längeren Verhandlungen mit dem Stadtrat wurden dem Seminar im Dezember 1835 dafür 50 Kinder der Torschule vor dem Neundorfer Tor zugewiesen. Für Wild war das nur ein Teilerfolg, denn die Torschüler gehörten zu den ärmsten Kindern der Stadt. Sie mussten auf vielfältige Art zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen und besuchten deshalb nur sehr unregelmäßig die Schule. Das hemmte wiederum das kontinuierliche Üben der Seminaristen. Erst 1841 erreichte Wild eine Verdoppelung der Zahl der Übungsschüler, so dass fortan die Unterrichtsstunden seiner Seminaristen besser besucht waren. Schließlich erhielt das Seminar unter Wilds Leitung 1848 ein Internat für zunächst 40 Seminaristen. 1864 konnten durch einen Anbau die räumlichen Verhältnisse für den Unterricht und das Internatsleben verbessert werden. 1866 trat Johann Gottfried Wild mit einem "Wegweiser und Ratgeber auf dem Gebiet der Volksschulgesetzgebung des Königreiches Sachsen" an die Öffentlichkeit. In diesem 100 Seiten umfassenden Buch stellte er die Entwicklung des Volksschulwesens in Sachsen seit der Reformation dar, wobei er vor allem die entsprechenden Schulordnungen und kurfürstlichen Erlasse in ihrer Bedeutung für das äußere und innere Wachsen der Elementarschulen würdigte. Danach kommentierte er die Bestimmungen des "Gesetzes, das Elementar- Volksschulwesen betreffend" vom 6. Juni 1835, und er ergänzte sie durch alle ministeriellen Verfügungen, die in den 30 Jahren vom Erlass des Gesetzes bis zum Erscheinen des Buches zur genaueren Interpretation der einzelnen Paragraphen erlassen wurden. Hier offenbarte sich Wild als tiefgründiger Kenner des sächsischen Schulrechts. Leider erlebte das wertvolle Buch keine weiteren Auflagen, da Ende der sechziger Jahre der Ruf immer lauter wurde, das sächsische Volksschulwesen auf eine neue gesetzliche Basis zu stellen, was am 26. April 1873 auch geschah. Über alle Leitungs- und Publikationstätigkeit hinaus wirkte Johann Gottfried Wild vor allem aber als Lehrerbildner und Erzieher auf seine Seminaristen. Fleiß, Gewissenhaftigkeit und Energie bestimmten sein Handeln, und sein Unterricht zeichnete sich durch gedankliche Klarheit und Überzeugungskraft aus. Der ihm im Elternhaus anerzogenen Schlichtheit und Anspruchslosigkeit in materiellen Dingen blieb er ein Leben lang treu, und er wurde damit zum Vorbild für die angehenden Lehrer. Am 15. April 1867 trat Johann Gottfried Wild in den Ruhestand. Den verbrachte er in der Familie seines ältesten Sohnes Johann Friedrich Wild, der 1866 zum ersten Oberlehrer am Seminar in Dresden-Friedrichstadt und 1874 zum Bezirksschulinspektor in Bautzen berufen wurde. Sowohl von Dresden als auch von Bautzen aus besuchte Wild des öfteren sein geliebtes Plauen, und nicht selten entboten dabei ehemalige Seminaristen ihrem "Vater Wild" ein herzliches Willkommen. Als Johann Gottfried Wild am 13. Januar 1878 in Bautzen starb, löste die Todesnachricht bei vielen vogtländischen Volksschullehrern tiefe Trauer aus, denn sie hatten den Menschen verloren, der sie einst für ihre schwierige Arbeit befähigt hatte.