Das "Voigtländische Schullehrer-Seminarium" Plauen und seine Traditionen

von Roland Schmidt

 
Die sich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert anbahnende stürmische Entwicklung der Textilindustrie im Vogtland ließ nicht nur den Ruf nach besseren Schulen für die Kinder des Volkes laut werden, sondern mündete auch in Forderungen nach einer ausreichenden Ausbildung ihrer Lehrer. Bereits im Jahre 1797 ist deshalb in Plauen ein "Schullehrer-Seminarium" entstanden. Es war nach dem Dresden-Friedrichstädter Lehrerseminar (gegründet 1785) die zweite Ausbildungsstätte für Volksschullehrer in Sachsen. Allerdings existierte es bis 1835 als besonderer Zweig des Plauener Lyceums. Die Anfänge der Lehrerausbildung 1797 waren dem Umstand geschuldet, dass viele Schüler das eigentliche Ziel des Lyceums, die Vorbereitung auf ein Universitätsstudium, gar nicht erst anstrebten und demzufolge in dem ausgiebigen Griechisch- und Lateinunterricht (die Naturwissenschaften spielten eine völlig untergeordnete Rolle) keinen persönlichen Nutzen sahen. Als Lehrer wurden sie jedoch dringend gebraucht, und so wurde ihnen "in einer anderen Stube Unterricht von allem demjenigen erteilt, was sie als Schullehrer zu wissen nötig haben." 1798 wurden für die zukünftigen Studenten und Lehrer getrennte Klassen in der Prima, der höchsten Klassenstufe, gebildet, und für die angehenden Lehrer wurden auch spezielle Übungen zu ihrer didaktisch-methodischen Befähigung durchgeführt. Dieser sporadisch gewachsene Zustand änderte sich im Februar 1810, als der sächsische König Friedrich August eine Order erließ, in der et die in Plauen betriebene Ausbildung von Volksschullehrern als nützlich bezeichnete und der Anstalt den Namen "Voigtländisches Schullehrer-Seminarium" zubilligte. Vorausgegangen war diesem Akt des Landesherren die Bitte des Plauener Superintendenten Johann Friedrich Tischer, das Schullehrer-Seminarium zu Plauen jährlich mit 100 Talern zu unterstützen. Diese hatte der König zwar abgelehnt, aber stattdessen eine einmalige Zahlung von 25 Talern verfügt. 1813 kam dann eine Staatsunterstützung dazu, die ab 1815 jährlich garantiert wurde und ab 1818 500 Taler betrug. Von diesen Geldern wurde der Grundstock einer Bücherei bezahlt, die allen Lehrern in Plauen und Umgebung zur Verfügung stand, sowie weitere Lehrmittel angeschafft. Einen wichtigen Einschnitt in die Arbeit von Lyceum und Lehrerseminar markierte 1815 der Umzug in das Gebäude am Schulberg, das weitgehend aus privaten Mitteln, jedoch unter zielstrebigem Einsatz von Su- perintendent Tischer vom Kaufmann Landrock erworben worden war. 1824 wurde der staatliche Zuschuss für das Seminar auf jährlich 700 Taler erhöht, außerdem gewährte der Kreiskonvent pro Jahr 200 Taler. Das versetzte das Seminar in die Lage, 1826 eine eigene Orgel weihen zu können, was der Ausbildung der Lehrer, die ja zugleich als Kantoren für die Kirchenmusik zuständig waren, spürbar zu Gute kam. Die Plauener Stadtväter standen dem Schullehrer-Seminar lange Zeit ablehnend gegenüber. Das lag an der engen Verknüpfung des städtischen Lyceums mit dem Seminar, dessen Aufgaben ja weit über den Rahmen der Stadt hinausgingen und das gesamte Vogtland betrafen. Die Lehrer standen im Dienste der Stadt und wurden auch von ihr bezahlt, sie unterrichteten aber gleichzeitig am Seminar, ohne dass die Stadt darauf nennenswerten Einfluß hatte. Das bot natürlich immer wieder Anlass zu unfruchtbaren Kontroversen, und die Ratsherren versuchten mehrmals, das Lehrerseminar aus der Stadt zu verbannen. Das 1823 in einer Klage an die königliche Regierung in Dresden benutzte Scheinargument, ein Lehrerseminar sei in einer Fabrikstadt wie Plauen äußerst unzweckmäßig, ist dafür ein aufschlußreicher Beleg. Das erstebte Ziel wurde damit freilich nicht erreicht. Die enge Verbindung von Lyceum und Lehrerseminar schrieb auch die erste Seminarordnung fest, die 1819 von Rektor Adolph Friedrich Wimmer erstellt worden war. Beide Anstalten sollten von einem Direktor geleitet werden, obwohl sie unterschiedlichen Aufsichtsbehörden unterstellt waren. Die Oberaufsicht über das Seminar übte der Königliche Kirchenrat zu Dresden aus, während die Aufsicht über das Lyceum vom Plauener Superintendenten wahrgenommen wurde. Die Seminarordnung begrenzte die Zahl der Seminaristen auf 30. Ihre Ausbildung sollte mit vollendetem 15. Lebensjahr beginnen, jedoch sollten sie spätestens mit 24 Jahren das Seminar verlassen haben. Die Vorkenntnisse der Seminaristen sollten dem Niveau der Tertia entsprechen. Das entsprach damals einem insgesamt sechsjährigen Besuch des Lyceums, da die Klassen jeweils ein anderthalbes Jahr geführt wurden. Zusätzlich wurde auf eine gute Stimme, Notenkunde und einige Fertigkeiten im Klavierspiel Wert gelegt. Der Ausbildungsplan sah – aufgeteilt auf zwei Klassen also für insgesamt drei Jahre – 41 Wochenstunden vor, wobei 22 Stunden theoretischen Lehrveranstaltungen und 19 praktischen Übungen vorbehalten waren. Religiöse Unterweisungen sowie Musik bildeten den Schwerpunkt des Unterrichtes, ergänzt von wenigen Stunden Naturlehre, Mathematik und Geschichte. Die deutsche Sprache war in den Stundentafeln nur mit zwei Stunden ausgewiesen, ihr waren jedoch auch Fächer wie "Deutsche Stilübungen" oder "Schreiben" verpflichtet. Auch Latein und Französisch wurden unterrichtet. Als praktische Übung außerhalb des Unterrichtsprogramms zählte auch die Teilnahme am Chor- und Currendesingen, das regelmäßig mittwochs und sonntags stattfand, sowie an der Kirchenmusik. Schließlich unterrichteten die ältesten Seminaristen wöchentlich 18 Stunden an den Torschulen. Neben den praktischen Erfahrungen brachten diese Tätigkeiten den Seminaristen ein bescheidenes Taschengeld ein, von denen sie – mehr schlecht als recht – ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten, denn die von den einzelnen Gönnern gewährten Stipendien reichten keineswegs für alle. Seit 1820 mussten sich die Absolventen des Seminares einer sechstägigen Prüfung in Dresden unterziehen, die die Fächer Religion, Rechnen, Gesang, Orgel, Katechese und Aufsatz umfasste. Als Sachsen am 4. September 1831 erstmals eine Verfassung erhielt, hatte das auch Auswirkungen auf das Plauener Lehrerseminar. Es blieb zwar zunächst weiter mit dem Lyceum verhaftet, war jedoch fortan dem neugeschaffenen Königlichen Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts unterstellt. Im Zuge der weiteren Umgestaltung des sächsischen Schulwesens erhielt Plauen die Berechtigung, das Lyceum in eine Gelehrtenschule umzuwandeln. Das führte ein Jahr später nicht nur zur Abtrennung der Bürgerschule vom bisherigen Lyceum und dessen Umgestaltung zu einem sechsstufigen Gymnasium, sondern auch zur endgültigen Selbständigkeit des Plauener Lehrerseminars, das dann bis 1928, also fast noch ein volles Jahrhundert, die Ausbildungsstätte vieler vogtländischer Volksschullehrer war.