Das Falkensteiner Privatseminar

von Roland Schmidt

 
Das Königreich Sachsen erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Viele Produktionsstätten entstanden, und die Bevölkerungszahlen vieler Städte und Landgemeinden wuchsen innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten auf das Doppelte bis Dreifache an. In vielen Orten stieg die Zahl der Schulkinder so schnell, daß die Gemeindekassen beim Bau neuer Unterrichtsräume weit überfordert waren, und auch die Bereitstellung von Lehrern konnte mit dem rasant gewachsenen Bedarf nicht mehr mithalten. Zu Beginn der siebziger Jahre waren im Königreich Sachsen 519 Stellen für ständige Lehrer sowie Hilfslehrer an Volksschulen unbesetzt. Der Staat war also in die Pflicht genommen, weitere Lehrerbildungsstätten zu schaffen. Davon profitierte auch das Vogtland, denn es erhielt auf diesem Wege sein zweites Lehrerseminar. Das erste war offiziell bereits 1810 in Plauen gegründet worden. Seine Vorgeschichte reicht jedoch bis ins Jahr 1794 zurück, als gewissermaßen eine Sonderklasse des Lyceums mit dem Ziel geschaffen worden war, die Schüler zu künftigen Volksschullehrern auszubilden. 1835 hatte das Plauener Seminar auch juristisch seine Selbständigkeit erlangt. 1854 hatten 54 Seminaristen in 4 Klassen den Neubau in der Seminarstraße bezogen und 1864 war ein Erweiterungsbau übergeben worden, der die Ausbildung von 100 Seminaristen ermöglichte. Doch diese bis dahin einzige Ausbildungsstätte von Volksschullehrern für das Vogtland erwies sich bald als zu klein, so daß der Ruf nach einem zweiten Seminar immer lauter wurde. Mitte der sechziger Jahre bewarb sich deshalb Auerbach als Standort eines zweiten vogtländischen Lehrerseminars - zunächst jedoch ohne Erfolg. Aussichtsreicher schien dagegen ein Projekt zu sein, das um 1870 in Falkenstein von privater Hand auf den Weg gebracht wurde. In dieser Stadt gab es Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Männer, die sich über das übliche Maß hinaus um das Bildungswesen verdient gemacht haben. Das war zum einen Geheimrat Franz Adolph von Trützschler (1792 - 1873), das damalige Oberhaupt des alten Falkensteiner Adels geschlechts, und das war zum anderen Dr. Blochmann, der zunächst Lehrer war, 1866 die Pfarrstelle in Falkenstein antrat und 1872 als Superintendent nach Pirna ging. Besaß ersterer das nötige Geld und den erforderlichen gesellschaftlichen Einfluß, so verfügte der zweite über entsprechenden pädagogischen Fähigkeiten und Ideen, eigene Wege im Schulwesen zu beschreiten. 1861 schufen sie die "Freiherrlich von Trützschlersche Stiftungsschule", die befähigten Kindern Falkensteiner Bürgern eine gehobene Allgemeinbildung, u.a. mit Latein und Französisch, vermittelte. 1868 war sie von dem Adligen per Schenkung der Stadt übereignet worden, und sie bestand als städtische Volksschule bis 1920. Im Frühjahr 1870 verfolgten die beiden Männer eine andere Idee: die Gründung eines privaten Lehrerseminars. Bei der Falkensteiner Stadtverwaltung fanden sie dafür sehr schnell Gehör, erhoffte sie sich doch damit einen weiteren Anziehungspunkt für die Kommune. Die Tatsache, daß von Trützschler der Stadt seine Stiftungsschule geschenkt hatte, und auch das Argument, daß durch diese Schule auch qualifizierte Lehrer zur Verfügung ständen, wogen schwer, und am 23.4.1870 wurde auch seitens der Kreisdirektion die Genehmigung er teilt, das private Lehrerseminar zu gründen. Schon am 17.5.1870 bewarben sich die ersten jungen Männer um Aufnahme, 15 von ihnen wur den angenommen. Der erste Unterricht fand im Pfarrhaus - also in Blochmanns eigentlichen Diensträumen - statt, kurze Zeit später stellte von Trützschler zwei Räume in einem Nebengebäude des Schlosses zur Verfügung. Das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts hatte Blochmanns Bitte um finanzielle Unterstützung entsprochen und eine jährliche Unterstützung von 120 Talern zugesagt. Dieses Geld sowie eine weitere "Anschubfinanzierung" für Lehrmittel und für ein Piano sind auch gezahlt worden. Dem Gedeihen des privaten Lehrerseminars stand also nichts mehr im Wege - und dennoch kam bereits anderthalb Jahre nach seiner Gründung für das Institut das Aus. Bereits im September 1871 hatte das Ministerium die weitere finanzielle Unterstützung versagt, und auch im Falkensteiner Stadtrat gab es Kräfte, die die Bemühungen von Trützschlers als zweischneidiges Schwert empfanden, denn letztlich hätte die Stadt finanzielle Defizite der Anstalt mit öffentlichen Steuermitteln begleichen müssen. Am 26.9.1871 wurde das private Lehrerseminar aufgelöst. Die Seminaristen wurden durch das Ministerium auf die benachbarten Seminare in Plauen und Schneeberg umgelenkt. Dort machten sie ihrer Falkensteiner Bildungsstätte alle Ehre, da sie in ihren neuen Klassen jeweils vordere Plätze in der Rangfolge der Seminaristen einnehmen konnten. Mit der Auflösung des Falkensteiner Privatseminars wuchsen Auer bachs Chancen, ein staatliches Lehrerseminar in seine Mauern zu bekommen. Nachdem die Stadt mit ihrer Bewerbung 1867 Zschopau und 1871 Schneeberg unterlegen gewesen war, glückte nun der dritte Anlauf. Am 7. Mai 1876 wurde das "Königliche Lehrerseminar zu Auerbach i.V." feierlich eröffnet. Es bestand in dieser Form - wie seine ältere Schwesteranstalt in Plauen - bis Ostern 1928.