Vor 125 Jahren wurde das Königliche Lehrerseminar Auerbach eröffnet
"Der gestrige Tag war ein wahrer Fest- und Freudentag für die hiesige Stadt: es erfolgte die Eröffnung des neuen Lehrerseminars." Mit diesem Satz begann der Vogtland-Korrespondent der "Leipziger Zeitung" am 8. Mai 1876 seinen Bericht aus Auerbach, und er hatte damit keineswegs übertrieben, denn mit der am Vortag vollzogenen Gründung dieser Lehrerbildungsstätte ging ein lang gehegter Wunsch der Auerbacher Stadtväter in Erfüllung. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verzeichnete Sachsen ein großes Bevölkerungswachstum, und größere Schülerzahlen in den Volksschulen erforderten ständig mehr Lehrer. Die bestehenden Lehrerseminare waren in ihrer Kapazität bereits ausgelastet, so dass sich die Regierung veranlaßt sah, weitere Seminare zu gründen. Das erfolgte auf dem Wege der Ausschreibung, und das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts erteilte dann der Stadt den Zuschlag, die die formulierten Kriterien am besten erfüllte. Standort einer mittleren Bildungsstätte zu sein, hatte für das Ansehen der jeweiligen Stadt, für ihre Außenwirkung und auch für den weiteren wirtschaftlichen Aufbau der Region positive Wirkungen. Sie wurde zur zweiten Heimat für jeweils 150 - 180 Jugendliche, die sechs Jahre lang versorgt und betreut werden mußten. Das schuf Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich. Gleichzeitig wurde sie Wohnsitz für etwa ein Dutzend solide qualifizierte Lehrkräfte, die sich nicht nur der Ausbildung der künftigen Volksschullehrer widmeten, sondern sich mit ihren Kenntnissen auch aktiv in das gesellschaftliche und wissenschaftliche Leben der jeweiligen Stadt und ihrer Umgebung einbrachten. Folgerichtig wurden zwischen den Bewerbern heiße Kämpfe geführt, den Zuschlag als Seminarstandort zu erhalten, und auch Auerbach war dabei bereits zweimal leer ausgegangen. Bei der ersten Bewerbung 1866 ging der Zuschlag an Zschopau, und 1871 erhielt Schneeberg den Vorzug. Doch die Stadtverwaltung ließ sich von ihrer erklärten Absicht nicht abbringen und ging 1875 erneut gegen 44 (!) Konkurrenten ins Rennen, unter anderem gegen das benachbarte Falkenstein. Doch diesmal standen die Chancen für Auerbach bedeutend besser als bei den vorherigen Versuchen. Zum einen führte die beginnende Gründerzeit auch in der Region Westerzgebirge/Vogtland zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der unmittelbar vor Ort zu Bevölkerungswachstum und hohem Lehrerbedarf führte. Weder das Plauener Seminar, das schon 1810 gegründet worden war, noch die junge Schneeberger Anstalt konnten diesen Bedarf decken. Zum anderen hatte Auerbach unmittelbar vorher eine bedeutende Aufwertung erfahren, indem es 1874 Kreisstadt geworden war und 1875 eine direkte Bahnverbindung nach Zwickau erhalten hatte. Anfang Januar 1876 bestätigten die Stadträte von Auerbach unter Vorsitz von Bürgermeister Eule einstimmig den Forderungskatalog aus Dresden. Sie verpflichteten sich, 1,5 ha Baufläche und ausreichend laufendes Wasser sowie dessen Zuleitung zum Seminar unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Schließlich übernahmen sie auch die Kosten für den Mehrbedarf an Sitzen für Seminarlehrer und Seminaristen in der Stadtkirche St. Laurentius. Schon wenige Tage später nahm der Minister des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Dr. Carl Friedrich Wilhelm von Gerber das von Rittergutsbesitzer J.G. Opitz der Stadt geschenkte Baugelände sowie das bis zur Fertigstellung des Neubaus als Provisorium gedachte Kesselsche Haus am Neumarkt in Augenschein, und Mitte Februar 1876 kam aus Dresden die endgültige Bestätigung, das Seminar in Auerbach zu errichten. Nun war Eile geboten, denn mit dem Ende der Osterferien sollte bereits der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Das Ministerium berief den Zwickauer Mathematiklehrer Georg Reinhold Schönfelder zum dirigierenden Oberlehrer und erteilte ihm den Auftrag, das gemietete Haus für Unterrichts- und Internatszwecke vorzubereiten. Viele Zimmerwände mußten versetzt werden, eine Gasbeleuchtung wurde installiert, und schließlich wurden Tafeln, Bänke und Betten aufgestellt. Gleichzeitig wurden die ersten sechs Lehrer eingestellt, Lektionspläne entworfen und die Bewerbungsunterlagen der ersten Seminaristen gesichtet. Am 7. Mai 1876 waren alle Vorarbeiten erledigt. Mit einem Festakt wurde das Königliche Lehrerseminar in Auerbach gegründet, und in drei Klassen nahmen zunächst 47 vierzehnjährige Knaben ihre sechsjährige Ausbildung auf. Zweieinhalb Jahre später, am 9. Oktober 1878 wurde der Neubau übergeben. Das Seminar konnte auf sechs Klassen - seine geplante Größe - aufgestockt werden, und eine Übungsschule, die schrittweise 1878 und 1879 angegliedert wurde, ermöglichte eine enge Verbindung von Theorie und Praxis bei der Ausbildung der zukünftigen Volksschullehrer. Nach der Jahrhundertwende kam ein Erweiterungsbau dazu (1905), und bis 1913 stieg die Zahl der Seminaristen auf 158, wovon 130 im Internat untergebracht waren. An der Übungsschule lernten 123 Schüler. Doch sehr bald nach dem Ersten Weltkrieg kam - wie für alle Lehrerbildungsseminare in Sachsen - auch für die Auerbacher Einrichtung das Aus. Der Freistaat Sachsen übertrug per Gesetz vom 4. April 1923 die Ausbildung der Volksschullehrer der Universität Leipzig und der Technischen Hochschule Dresden. Die an den Seminaren noch lernenden Jugendlichen konnten ihre Ausbildung noch planmäßig zu Ende führen, es erfolgten aber keine Neuaufnahmen mehr. Im Frühjahr 1928 endete deshalb die Geschichte des Auerbacher Lehrerseminars genauso wie die der Plauener Schwesteranstalt. Doch im Unterschied zur Spitzenstadt erlebte in der "Stadt mit den drei Türmen" die Lehrerbildung eine Fortsetzung in der DDR, als zwischen 1958 und 1989 am Institut für Lehrerbildung junge Menschen auf ihre Tätigkeit in den Klassen 1 - 4 der zehnklassigen Oberschule vorbereitet wurden. Die völlig anderen Strukturen im Schulwesen und in der Lehrerbildung nach der Wende ließen jedoch auch diese Tradition der Lehrerbildung in Auerbach sehr schnell absterben.