Schulweihe auf Raten

von Roland Schmidt

 
Vor 100 Jahren hatten die Plauener Städtväter andere Sorgen als ihre Kollegen heute. Obwohl sie viel Geld in den Bau neuer Schulen investierten, reichten die geschaffenen Unterrichtsplätze für die rasant wachsende Kinderzahl in der jungen Großstadt nicht aus. In schneller Folge hatten zwischen 1902 und 1906 die (später so benannten) Kemmler-, Dittes- und Herbartschule ihre Tore geöffnet, doch im Falle der XIII. Bürgerschule, die später als Mosenschule bekannt wurde, blieb selbst dieses Tempo hinter dem dringenden Bedarf an noch mehr Schulraum zurück. Diese Not machte erfinderisch, und so entschloss sich der Stadtrat, die neue Schule an der Reißiger Straße nicht in einem Weiheakt, sondern entsprechend dem Baufortschritt ratenweise ihrer Bestimmung zu übergeben. Das brachte allen Beteiligten – ob Lehrer, Schüler oder Bauleute – zusätzliche Belastungen. Es war aber die einzige Möglichkeit, alle Kinder ordentlich zu beschulen. Seit dem Frühjahr 1907 wurde an der Reißiger / Ecke Rähnisstraße die Baugrube ausgehoben, in der für knapp 600 000 Mark das Gebäude der XIII. Bürgerschule errichtet wurde. Ein Jahr später – am 14. April 1908 – wurde der erste Bauabschnitt übergeben, während in den anderen Komplexen des Schulhauses noch die Handwerker tätig waren. So fand auch nur eine kleine Einweihungsfeier statt, in der Oberbürgermeister Dr. Johannes Ferdinand Schmid, den Direktor der Schule, Kurt Rudolf Adler, in sein Amt einwies. Sie fand in der Turnhalle der benachbarten VI. Bürgerschule, der späteren Heubnerschule, statt, da die eigene Turnhalle noch im Bau war. An diesem Tag nahmen die ersten 10 Klassen den Unterricht in den fertiggestellten Räumen auf. Zweieinhalb Monate später wurde die Turnhalle übergeben und Ende September war das gesamte Schulhaus vollendet, indem vor allem auch spezielle Räume für den damals immer mehr praktizierten Handfertigkeitsunterricht für Knaben eingerichtet worden waren. Am 5. Oktober 1908 erfolgte die eigentliche Weihe der Schule, und weitere 21 Klassen bezogen die neuen Unterrichtsräume. Im Frühjahr 1909 zählte die XIII. Bürgerschule insgesamt 1477 Jungen und Mädchen zu ihren Schülern, die von 35 Lehrern unterrichtet wurden. War schon die Art der Eröffnung eine Besonderheit der XIII. Bürgerschule, so betraf das in gleicher Weise ihren Bildungsauftrag. Konzipiert war die Schule eigentlich als mittlere und einfache Volksschule, während an höhere Volksschulklassen nicht gedacht war. Diese drei in Sachsen gesetzlich fixierten Volksschularten unterschieden sich deutlich in den Lehrplänen, der Wochenstundenzahl, der Klassenstärke und des zu zahlenden Schulgeldes. Doch die ersten Schüler, die im April 1908 die neue Schule bezogen, waren Schüler der Höheren Volksschule. Eigentlich hätten sie die 1. Höhere Bürgerschule in der Karl-/ Ecke Bärenstraße besuchen müssen. Die war jedoch völlig überfüllt, so dass 10 Klassen samt ihren Lehrern kurzerhand in die neue XIII. Bürgerschule „ausquartiert“ wurden. Dort blieben sie drei Jahre, bevor sie in die Ostern 1911 fertiggestellte 2. Höhere Bürgerschule in der Nähe des Sternplatzes (das Gebäude des heutigen Diesterweg-Gymnasiums) umzogen. Die Schüler, die ab Herbst 1908 in die XIII. Bürgerschule kamen, besuchten Klassen der mittleren Volksschule, später kamen auch Klassen der einfachen Volksschule dazu. Eine solche Aufteilung der Klassen und folgerichtig auch der Lehrerschaft stellte an die Leitung der Schule hohe Anforderungen. Das unterstrich auch der Oberbürgermeister bei der Eröffnungsfeier am 14. April 1908. Er wurde jedoch in seinen Erwartungen nicht enttäuscht, das Lehrerkollegium unter Schulleiter Adler meisterte diese Schwierigkeiten, und die XIII. Bürgerschule nahm bald einen geachteten Platz im Plauener Schulwesen ein. Im Oktober 1909 quartierte sich noch ein „Untermieter“ ein, ein Mädchenhort mit 65 Plätzen. Er war die zweite Einrichtung dieser Art in der Spitzenstadt. Er wurde aber nicht von der Schule, sondern vom Plauener Verein „Jugendfürsorge“ betrieben. Das sächsische Übergangsschulgesetz vom 22. Juli 1919 beseitigte die Dreistufigkeit des Volksschulwesens, so dass auch an der XIII. Bürgerschule für alle Kinder fortan nur noch Unterricht auf dem Niveau der bisherigen mittleren Volksschule erteilt wurde. Im Sommer 1920 erhielt die Schule den Namen des vogtländischen Dichters Julius Mosen (1803 – 1867), und unter dieser Bezeichnung wurde sie den Plauener Bürgern ein Begriff. In der nachfolgenden Zeit war aber ihre weitere Existenz als Volksschule bedroht. Die Stadt Plauen benötigte dringend ein größeres Gebäude für die Oberrealschule, und dafür kam die Mosenschule ins Gespräch. Ihre direkte Nachbarschaft zur Heubnerschule und die Nähe zu der (1945 zerstörten) Schillerschule an der Pauluskirche ließen sie als Volksschule entbehrlich scheinen. Dagegen wehrten sich Eltern und Lehrer mit Erfolg. Die Mosenschule blieb Volksschule, und die Oberrealschule erhielt einen Neubau in der Jößnitzer Straße (das Gebäude des heutigen Lessing-Gymnasiums). Die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg führten der Mosenschule – im Gegensatz zu anderen Plauener Bildungsstätten – vergleichsweise nur kleinere Schäden zu, so dass an ihr am 1. Oktober 1945 der Unterricht wieder aufgenommen werden konnte. Als achtjährige Grundschule und ab 1959 als zehnklassige Polytechnische Oberschule vermittelte sie vielen Plauener Kindern und Jugendlichen die nötigen Grundlagen für ein lebenslanges Lernen. Nach der Wende erfüllte die Mosenschule als neu konzipierte Mittelschule dieselbe Aufgabe, bevor sie infolge der stark rückläufigen Schülerzahl um die Jahrtausendwende geschlossen werden musste. Doch das altehrwürdige Schulgebäude blieb weiterhin der Bildung und Erziehung der jungen Generation verpflichtet. Drei Jahre lang diente es als Ausweichquartier für die Schüler der Friedensschule, während diese grundlegend saniert wurde, und 2005/06 wurde die ehemalige Mosenschule selbst einer umfassenden Rekonstruktion unterzogen, um sie für neue Aufgaben zu rüsten. Durch einen Zwischenbau wurde sie mit der früheren Heubnerschule verbunden, so dass sie heute Teil des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft und Gesundheit „Anne Frank“ ist.