Schulbauten nach dem Gesetz vom 6. 6. 1835

von Roland Schmidt

 
Ein Blick in die amtliche Schulstatistik, die 1845 für das Königreich Sachsen herausgegeben wurde, bringt es zutage: In den Jahren von 1835 bis 1840 gab es - wie in ganz Sachsen - auch im Vogtland eine so rege Bautätigkeit für Schulen, wie sie weder zuvor noch danach zu verzeichnen war. Das galt vor allem für viele Dörfer, die entweder erstmals in ihrer Geschichte ein eigenständiges Schulhaus errichteten oder aber sich anstelle eines alten, baufälligen Gebäudes eine neue Bildungsstätte leisteten. In 27 Ortschaften, von Coschütz bei Elsterberg bis Pabstleithen nahe der Grenze zu Böhmen (beide 1839), von Schwand (1835) bis Kottengrün und Sallig (beide 1840) sind Schulen erbaut oder umgebaut worden. 1840 stellte dabei gewiß den Höhepunkt der Bautätigkeit dar, denn in diesem Jahr erfolgte in insgesamt 12 Dörfern die feierliche Weihe des neuen Schulhauses (Brockau, Dehles, Großfriesen, Kornbach, Meßbach, Neuensalz, Kottengrün, Oberlauterbach, Lauterbach, Sallig, Sachsgrün und Zaulsdorf). Diese rege Bautätigkeit für Unterrichtszwecke seit 1835 und auch der vorläufige Höhepunkt fünf Jahre später waren natürlich kein Zufall, und sie waren keineswegs das Ergebnis wohlwollenden Wirkens aufgeklärter Rittergutsbesitzer und Bürgermeister, das auch für das Vogtland nachweisbar ist. Vielmehr waren sie die Konsequenz staatlicher Maßnahmen zur Hebung des Niveaus im Elementarschulwesen, die Folge gesetzlicher Verfügungen, das Volksschulwesen in Sachsen auf ein festes Fundament zu stellen. Der Bau von Schulhäusern gehörte dazu in gleicher Weise wie die Anstellung fest besoldeter und an Seminaren für ihre Tätigkeit vorgebildeter Lehrer durch die Gemeinden. Beide Faktoren hatten in Sachsen hinsichtlich der Bildungsmöglichkeiten für die Kinder des einfachen Volkes lange Zeit nur eine nebensächliche, ja regelrecht vernachlässigte Rolle gespielt, und vor allem aus dem Vogtland wurden in den Jahren 1832 - 1834 teilweise katastrophale Zustände gemeldet. Während es in den Kirchdörfern in der Regel eigenständige Schulhäuser mit fest angestellten Schulmeistern gab, war die Situation in den zahlreichen kleinen Dörfern ohne Kirche viel bescheidener. Sie besaßen keine Schulgebäude und beschäftigten auch nur - wenn überhaupt - einen "Kinderlehrer", der in seiner Existenz völlig dem Wohl und Wehe des Dorfes und seiner Bewohner unterlag. Der Kinderlehrer verfügte in der Regel über keine Vorbildung für seine Lehrtätigkeit, er absolvierte mehr schlecht als recht sein tägliches Unterrichtspensum, und sein sozialer Status war äußerst niedrig. Er lebte vom geringen Schulgeld der Kinder und von einigen Naturalien, die ihm die Bauern mehr oder weniger freiwillig zuschoben. 1833 gab es im Inspektionsbezirk Plauen 72 solcher "Kinderlehrerschulen", die mit Abstand höchste Zahl im gesamten Königreich Sachsen, und auch der Inspektionsbezirk Oelsnitz lag mit 54 solcher Einrichtungen noch weit über dem Landesdurchschnitt. Der Unterricht fand in denkbar schlechten Räumen, z.B. stillgelegten Scheunen und Stallungen statt. In 19 Dörfern des Plauener Inspektionsbezirkes wurde sogar noch "Reihenschule" praktiziert, d.h. der Unterricht fand in einer bestimmten Reihenfolge und regelmäßigem Wechsel jeweils für alle Schüler in den Wohnungen der Bauern statt. Die Wohnräume waren dafür jedoch in keiner Weise gerüstet, sie waren viel zu klein, es gab weder Bänke für die Kinder noch eine Tafel für den Lehrer. Darüber hinaus konnten Lehrer und Schüler nicht ungestört arbeiten, denn im gleichen Raum spielte sich auch der normale Alltag der "gastgebenden" Familie ab. Die unter diesen Bedingungen erzielten Ergebnisse in der Schularbeit waren höchst bescheiden und boten keine Basis für einen wirtschaftlichen Aufschwung auf dem Lande. Für 23 Kinderlehrer des Plauener und 14 des Oelsnitzer Inspektionsbezirkes war die "Reihenschule" noch mit einer anderen Diskriminierung verbunden: sie waren auf den "Reihentisch" verpflichtet worden, d.h. sie wurden mangels Bargeld in der Gemeindekasse im regelmäßigen Wechsel von den Bauernfamilien verpflegt. Es mußte gegessen werden, was auf den Tisch kam, eigene Speisewünsche des Lehrers hatten zu unterbleiben, Aversionen gegen manche Gerichte oder hygienische Skrupel mußten gegen den Preis des Hungerns niedergekämpft werden, und nur in den seltensten Fällen waren die Kinderlehrer gern gesehene Tischgäste. Mit diesen unhaltbaren Zuständen, die das sächsische und damit auch das vogtländische Elementarschulwesen seit der Reformationszeit wesentlich geprägt hatten, mußte es ein Ende haben, nachdem das Königreich Sachsen nach den bewaffneten Aufständen der Jahre 1830/31 am 4. September 1831 in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt worden war und die beginnende kapitalistische Entwicklung immer höhere Ansprüche an die Bildung der unteren Schichten des Volkes stellte. Das "Gesetz, das Elementarschulwesen betreffend" vom 6. Juni 1835 erklärte deshalb den achtjährigen Schulbesuch aller Mädchen und Jungen im Alter von 6 bis 14 Jahren für verbindlich, und es verpflichtete alle Städte und Gemeinden, die dafür notwendigen räumlichen Bedingungen zu schaffen und fest besoldete Lehrer einzustellen. Gemeinden mit mehr als 50 Schülern hatten eigene Schulen zu errichten, deren Räume ausschließlich für Unterrichtszwecke zu nutzen waren. Kleinere Gemeinden konnten mit größeren einen Schulverbund gründen. Die meisten Gemeinden wurden von der gesetzlichen Auflage zum Schulbau überrascht, so dass sich in den ersten beiden Jahren nach dem Gesetzeserlaß noch keine große Bautätigkeit entfaltete. In den Gemeindekassen fehlte das nötige Geld, sowohl für das Schulgebäude als auch für die feste Besoldung des Lehrers, die wenigstens 120 Taler im Jahr betragen sollte. Die 1835 erfolgte Weihe der neuen Schule in Schwand, also etwa zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 6. Juni 1835 und auch inhaltlich den neuen Anforderungen an Schulgebäude genügend, dürfte eher ein glücklicher Zufall gewesen sein. In einigen Dörfern - so in Remtengrün, Hartmannsgrün und Freiberg bei Adorf - faßten die Gemeinderäte 1836 Beschlüsse zum Bau einer neuen Schule, während in der größeren Zahl der Gemeinden weiterhin erst die nötigen Gelder angespart werden mußten, bevor ein Bauauftrag erteilt werden konnte. Zwei Jahre später war in vielen Dörfern die Finanzierung des Schulbaus gesichert, so dass seine Ausführung beginnen konnte. Das bewirkte um 1840 den Höhepunkt von Schulbauten im Vogtland. Gleichzeitig wurden überall Lehrer zu festen Gehältern angestellt. Sie lagen in vielen Fällen beim gesetzlichen Minimum von 120 Talern pro Jahr und reichten kaum zum Leben. Dennoch brachten sie die Lehrer aus der direkten Abhängigkeit vom Wohlwollen der Dorfbewohner und stärkten ihr Selbstbewußtsein. Beide Maßnahmen - der Bau von Dorfschulen und die Gewährung eines festen Jahresgehalts für die Lehrer - waren wichtige Voraussetzungen, die Bildung und Erziehung der Kinder des einfachen Volkes Schritt für Schritt auf eine solide Basis zu gründen.