Prioritäten nach der Brandkatastrophe 1806 in Treuen

von Roland Schmidt

 
Verheerende Stadtbrände gehörten noch bis ans Ende des 19.Jahrhunderts zu den größten Schreckensszenarien der Menschen, und auch das Vogtland nahm sich dabei nicht aus. Elsterberg (1840), Plauen (1844) und Oelsnitz (1839 und 1859) seien nur als wenige Beispiele für viele genannt, die viel Leid für die Bevölkerung brachten und hohe materielle Verluste verursachten. Es sprach aber stets auch für den Bürgersinn in den jeweiligen Kommunen, wie schnell dem Schrecken über das Geschehene Mut und Wille für den Neuaufbau folgten. In Plauen war man sich schnell einig geworden, ehemals verwinkelte Gassen zugunsten einer verbesserten Verkehrsstruktur in breitere Straßen zu verwandeln, und auch in anderen Städten wurde der Wiederaufbau mit Blick auf die Zukunft begonnen. Das war auch in Treuen so, das in der Nacht vom 9. zum 10. Juni 1806 von einer Brandkatastrophe heimgesucht worden war. Von einem Gebäude am Markt ausgehend, waren die Flammen innerhalb weniger Stunden von Haus zu Haus übergesprungen und hatten das gesamte Stadtzentrum in Schutt und Asche gelegt. 72 Wohnhäuser, dazu die Kirche, die Schule und das Rat- haus brannten nieder, 118 Familien mit insgesamt 548 Menschen waren obdachlos und damit in akuter Not. Doch nicht nur dieses Unglück allein lastete auf den Treuenern, auch die allgemeine Wirtschaftslage war schlecht. Die Weberei, der wichtigste Broterwerb der Bürger in der Stadt und ihrer Umgebung, lag nahezu völlig darnieder, und das Scheffel Korn wurde bis zu einem Preis von 10 Talern gehandelt - für die meisten Treuener unerschwinglich. Die sich abzeichnenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und der Armee Napoleons (im Oktober 1806 kam es zu den Schlachten bei Jena und Auerstedt) ließen auch für die nahe Zukunft keine Besserung der Lebensverhältnisse erwarten. Angesichts dieser harten existentiellen Sorgen war es bemerkenswert, dass die Treuener Stadtväter beim Wiederaufbau der Stadt die Schule auf den ersten Platz setzten. Nicht das Rathaus, nicht die Pfarrei und nicht die Kirche wurden als vordringliche Objekte betrachtet, die von der öffentlichen Hand wieder errichtet werden mußten, sondern die Schule. Und so konzentrierten sich sofort nach dem Beräumen von Schutt und Asche die Bemühungen des Stadtrates darauf, den baldigen Schulbesuch der Kinder wieder abzusichern. Eine Brandversicherungssumme von 1000 Talern stand als Ausgangskapital zur Verfügung, und aus dem Kirchenvermögen wurden die wichtigsten Baumaterialien bezahlt. Trotzdem waren weitere Gelder erforderlich, um das Schulgebäude wieder aufzubauen und mit dem notwendigsten Inventar auszustatten. Sie wurden durch Sammlungen in der Bürgerschaft aufgebracht, darüber hinaus leisteten viele Bauern aus den umliegenden Dörfern unentgeltliche Gespanndienste für den Transport der Baumaterialien. Mauermeister Johann Gottlieb Enders aus Mechelgrün zog mit seinen Gesellen die Wände hoch, unter der Leitung von Zimmermeister Gottlob Zenner aus Treuen wurden die Holzarbeiten verrichtet, und Dachdeckermeister Listner aus Plauen fertigte das Schieferdach. Schon drei Wochen nach dem Brand, am 4. Juli 1806, waren die Arbeiten soweit vorangeschritten, dass Kantor Johannes August Schrödel wieder in das Schulhaus einziehen konnte. Kurze Zeit später wurde der Unterricht wieder aufgenommen. Natürlich war damit die Schule noch nicht fertig, viele weitere "Kleinigkeiten" wurden in den folgenden Wochen noch ergänzt, das Wichtigste war jedoch erreicht: der Schulbesuch der Kinder konnte nach nur kurzer Unterbrechung wieder abgesichert werden. Nach dem Wiederaufbau der Schule galt die ganze Kraft der Erneuerung der Pfarrei, in der - im Unterschied zum abgebrannten Gebäude - auch eine Wohnung für den zweiten Lehrer eingerichtet wurde. An diesem Haus arbeitete dasselbe Dreigestirn von Handwerksmeistern wie an der Schule, und es konnte im Herbst 1808 den Bau fertigstellen. Erst danach begann der Wiederaufbau der Kirche, der freilich auch einen weitaus größeren finanziellen und materiellen Aufwand als Schule und Pfarrei erforderte. Außerdem wurde die Kirche räumlich etwas versetzt und mit einer dritten Empore versehen. Am 2. Adventssonntag des Jahres 1809 konnte Superintendent Johann Friedrich Wilhelm Tischer aus Plauen die neuerbaute Kirche weihen, die jedoch zunächst noch ohne Turm, Orgel und inneren Schmuck geblieben war. Der Turm wurde 1811 und die Orgel 1812, also innerhalb kurzer Zeit, fertiggestellt, sicher auch infolge des wirtschaftlichen Auflebens der Stadt unter der Napoleonischen Kontinentalsperre, die die Treuener Webereien vor den englischen Konkurrenten schützte. Die Innendekoration der Kirche erfolgte dagegen erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. So zogen sich die Spuren des Treuener Stadtbrandes von 1806 über ein halbes Jahrhundert durch die Geschichte der vogtländischen Kleinstadt. Dass der Wiederaufbau der Schule zur ersten Aufgabe erklärt worden war, gereicht den Treuener Stadtvätern auch aus heutiger Sicht zu großer Ehre.