Lehrprobe in der Gesindestube

von Roland Schmidt

 
Wer heute als Lehrer in den Schuldienst treten möchte, hat es gewiß nicht leicht. Zunächst muß nach vierjährigem Universitätsstudium die 1. Staatsprüfung abgelegt werden, danach folgt - wenn man Glück hat - die Aufnahme ins zweijährige Referendariat zur intensiveren pädagogischen, vor allem didaktisch-methodischen Ausbildung bis zur 2. Staatsprüfung und danach - noch einmal großes Glück vorausgesetzt - die Anstellung als Lehrer im Schuldienst. Vor 170 Jahren war es jedoch auch nicht so einfach, Lehrer zu werden, nicht einmal an den einfachen Volksschulen, wie sie in vielen vogtländischen Dörfern existierten. Da wurden freie Stellen ausgeschrieben und die Bewerber zu regelrechten Wettstreiten eingeladen. Diese fanden unter der Aufsicht des zuständigen Superintendenten und in Anwesenheit des Ortspfarrers, des Rittergutsbesitzers, des Schulvorstandes und weiterer Einwohner der Gemeinde statt. Die Lehrprobe der Kandidaten wurde somit zur öffentlichen Angelegenheit, und über die erzielten Ergebnisse wurde gewissenhaft Protokoll geführt. So bewarben sich 1834 sieben junge Männer um die frei gewordene Stelle als Mädchenlehrer und Organist in Oelsnitz, die fünfunddreißig Jahre lang von Johann Traugott Tanzer mit treuem Pflichteifer erfüllt worden war. Drei von ihnen hatten das Plauener Lehrerseminar besucht und das auch voller Stolz in ihren Bewerbungsschreiben erwähnt. Die Prüfung bestand aus drei Teilen. Zum einen mußten die Kandidaten ihre Fertigkeiten im Orgelspiel unter Beweis stellen, zum anderen ging es um ihre Fähigkeiten, ein Unterrichtsgespräch führen zu können. Schließlich wurde von den Bewerbern ein Aufsatz zu einer pädagogischen Problemstellung verlangt. So schrieb Georg Andreas Winter - er wurde später ein anerkannter Komponist und Schulmusiker in Kirchberg bei Zwickau - über den "Zweck der Schulbildung, namentlich beim weiblichen Geschlecht", und Karl Friedrich Sammler, ein anderer Mitbewerber, versuchte sich beim Thema "Über Schulzucht und deren Anwendung beim weiblichen Geschlechte". Sammlers Leistungen wurden am besten bewertet, und er erhielt die Stelle als Mädchenlehrer und Organist in Oelsnitz, die er nahezu 40 Jahre - bis 1874 - mit Fleiß und einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit wahrnahm. Ähnlich streng ging es auch in anderen Prüfungskommissionen zu. So wurde 1836 dem Reusaer Katecheten Johann Gottlob W. eine "auffallende Verwirrung der Gedanken sowie Mangel an Sprachkenntnis und Sprachfertigkeit (und) bei der praktischen Prüfung nicht geringe Ungeschicklichkeit im Lehren überhaupt und im Katechisieren insbesondere" bescheinigt, so daß er aus dem Schuldienst entlassen wurde. Um seine Nachfolge bewarb sich Friedrich Ernst Güther, der 1834 das Plauener Lehrerseminar absolviert hatte und danach als Katechet in Reißig und Haselbrunn tätig war. Er stellte sich am 15. März 1837 der Lehrprobe, die unter Vorsitz des Plauener Superintendenten Anton August Fiedler bezeichnenderweise in der Gesindestube des Rittergutes Reusa stattfand. Güther mußte seine Fertigkeiten im Schreiben und Rechnen nachweisen und anschließend mit den Schulkindern ein Kirchenlied singen, wobei besonders darauf geachtet wurde, daß der Gesang bis zum Schluß im gleichmäßig richtigen Ton erfolgte. Danach trug der Kandidat ein Kapitel aus dem Johannis-Evangelium vor und katechisierte daraus den 3. Vers. Die Prüfungskommission bescheinigte Güther gute Leistungen, doch bevor dieser seine Anstellungsurkunde erhielt, mußte er noch eine Hürde meistern. Der Superintendent stellte die Frage, ob einer der Anwesenden "gegen Friedrich Ernst Güthers Person, Lehre, Lebenswandel und soeben abgelegte Schulprobe etwas Erhebliches einzuwenden habe". Erst die eindeutige Verneinung der Frage machte die Anstellung Güthers als Lehrer an der Reusaer Schule perfekt, an der er bis 1843 blieb.