In Kottenheide stand die kleinste Schule Sachsens

von Roland Schmidt

 
Der kleine Ort Kottenheide, heute zu Schöneck gehörig, ist für viele Wintersportler ein Begriff. Bis ins Frühjahr hinein weitgehend schneesicher, bieten die 780 m hoch gelegenen Loipen den Skiläufern vielfältige sportliche Betätigung, und auch im Sommer ist das kleine Walddörfchen mit seinen 80 Einwohnern ein Ort der Erholung für Jung und Alt. Vor knapp hundert Jahren, als die Siedlung an der Wasserscheide zwischen Elster, Mulde und Eger noch keine Feriengäste beherbergte, galt für sie noch eine andere Tatsache: In Kottenheide stand die kleinste Dorfschule Sachsens. Dieser Fakt hörte sich zwar ganz gut an, doch er barg auch Probleme in sich. Einerseits erleichterte die Schule im Ort das Lernen der Kinder, indem sie keine weiten Schulwege mehr zu bewältigen hatten, andererseits klammerte sie die Schüler noch fester an den engen Horizont ihres Dorfes. Und auch für die Lehrer war eine Anstellung in Kottenheide problematisch. Die geringe Schülerzahl ließ nur eine schlecht besoldete Stelle zu, und die Waldeinsamkeit bedeutete auch eine weitreichende Abgeschiedenheit von vielen Lebensprozessen, nicht zuletzt auch von Informations- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Doch zunächst müssen der Bau einer eigenständigen Schule in Kottenheide und ihre Weihe am 3. August 1905 als Fortschritt gewertet werden. Die Schulgeschichte des Ortes begann aber schon 22 Jahre eher, im Oktober 1883. Bis dahin waren die Kinder in Mulde (heute ein Ortsteil von Muldenberg) eingeschult, und der tägliche Weg in die dortige einfache Volksschule war weit. War er im Sommer für die Schüler vielleicht noch zumutbar, so sorgte im Winter oft genug hoher Schnee für ein von den Kindern freudig begrüßtes "schulfrei". Als 1883 die Schule in Mulde einem Brand zum Opfer fiel, mußte auch für die Kottenheider Kinder eine andere Lösung gefunden werden. In einem Privathaus des Walddorfes wurde ein Zimmer gemietet, in das am 1. Oktober 1883 acht Jungen und drei Mädchen mit ihrem Lehrer Emil Strödel einzogen. Rechtlich gehörte die Unterrichtsstätte als Filialschule zu Mulde, und eigentlich war sie nur als Provisorium gedacht. Doch sie blieb für mehr als zwei Jahrzehnte die grundlegende Bildungsstätte für die Kottenheider Kinder, bis 1905 ein eigenständiges Schulhaus errichtet werden konnte. Die Gelder dafür kamen aus den Domänenfonds, also aus Erträgen, die die Staatsforste im Schönecker und Klingenthaler Gebiet einbrachten. Das Gebäude war ein kleines Schmuckstück. Das Erdgeschoß war mit Holz verkleidet, während die Giebel an der Längs- und Seitenfront im Fachwerkstil gestaltet waren. Auf dem Dachfirst thronte ein kleiner Dachreiter. Die erste Etage beherbergte die Wohnung des Lehrers, und im Erdgeschoß befand sich der Unterrichtsraum. Die Zahl der Kinder hatte sich gegenüber 1883 nur gering verändert. Sechs Jungen und acht Mädchen bildeten die ganze Schülerschar, die der Lehrer Karl Richard Geßner zu unterrichten hatte. Diese Zahl widerlegte freilich eindrucksvoll die spöttische Meinung vieler Kottenheider Einwohner, für ihre Schule gelte das Motto "Ein Lehrer, eine Schule". Vor allem auch aus der Kenntnis heutiger Schulsituationen könnte man geneigt sein, die in einer solchen Schule mögliche ruhige und beschauliche Art des Unterrichtens zur romantischen Idylle zu verklären, doch die Wirklichkeit sah sicher anders aus. Da waren zum einen die bescheidenen, ärmlichen Lebensverhältnisse der Kinder und ihrer Eltern, die oft genug einem unbeschwerten Lernen entgegenstanden, und da war zum anderen die Schulstruktur einer einfachen Landschule, die den gleichzeitigen Unterricht aller Kinder vom sechsten bis zum vierzehnten Lebensjahr verlangte und damit dem erreichbaren Bildungsniveau enge Grenzen setzte. Und da waren schließlich die Lehrer, die meist als junge und noch unerfahrene Pädagogen nach Kottenheide kamen. Für viele war das Walddorf der Ort der ersten Anstellung nach dem Abschluß des Lehrerseminars. Das galt für den ersten Lehrer im Schulzimmer 1883 genauso wie für den ersten Hausherrn im neuen Schulhaus 1905. Sie betrachteten Kottenheide aus den bereits genannten Gründen nur als Durchgangsstation in Erwartung einer besseren Stelle. Das traf auch auf Paul Heinicke zu, der von 1894 bis 1897 die Kottenheider Kinder unterrichtete und sich auch als junger Dichter einen Namen gemacht hatte. Dieser Lehrer, dem Paul Apitzsch in seiner Geschichte "Drei aus dem Waldlande" ein schlichtes Denkmal setzte, verließ den Ort ebenfalls, weil er ihn für seine weitere Entwicklung als nicht förderlich empfand. Kottenheides Ruf, zu Beginn unseres Jahrhunderts die kleinste Schule in Sachsen zu haben, hatte somit zwei Seiten. Einerseits befreite diese Schule die Kinder von langen Schulwegen und schuf damit für sie bessere Lernbedingungen, andererseits verdeutlichte sie aber auch die engen Grenzen dieser Errungenschaft.