Friedrich Dittes zum 100. Todestag

von Roland Schmidt

 
"Nicht rückwärts und abwärts, sondern vorwärts und aufwärts!" Treffender hätte der Leitspruch nicht sein können, der das Leben und Schaffen von Friedrich Dittes kennzeichnete, der heute vor 100 Jahren, am 15. Mai 1896, in Wien verstorben ist. Diese Haltung prägte seinen jahrzehntelangen Kampf für eine bessere Bildung und Erziehung der jungen Generation, und sie ließ ihn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der entschiedensten Streiter für eine demokratische Schule in Deutschland und Oesterreich werden. An diesen Weg war freilich nicht zu denken, als Friedrich Dittes am 23. September 1829 im vogtländischen Irfersgrün das Licht der Welt erblickte, denn als Sohn eines Häuslers und Pechsieders waren eigentlich Armut und niedrige Schulbildung für ihn vorprogrammiert. Doch der Lerneifer des kleinen Friedrich fiel sowohl dem Irfersgrüner Lehrer als auch dem Pfarrer so stark auf, daß sie dem Vater das Einverständnis abrangen, seinen Sohn aufs Plauener Lehrerseminar zu schicken. Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht, wenn es auch Friedrich oft am Nötigsten zum Leben fehlte: Er wurde nicht nur ein guter Volksschullehrer, sondern er hatte auch stets den Drang, seine Bildung - den weiteren finanziellen Belastungen zum Trotz - zu vervollkommnen. Dabei ging es nicht um die wissenschaftliche Qualifikation auf pädagogischem und psychologischem Gebiet allein, vielmehr reifte dabei auch sein Standpunkt zu schulpolitischen Fragen. Die Revolution von 1848/49 war dabei ein erster Prüfstein. Noch nicht zwanzigjährig hatte Dittes die revolutionären Kämpfe nicht gebilligt, da er eine bessere Schule nur über den Weg von Reformen zu erreichen glaubte. Doch schon die Repressalien, denen viele Lehrer nach der Niederschlagung des Dresdner Maiaufstandes ausgesetzt waren, führten ihn zu neuen Erkenntnissen. "Gutes Brot und väterliche Gewogenheit gnädiger Herren sind nicht mein Strebziel," schrieb er 1849 in sein Tagebuch. Schon am Plauener Lehrerseminar hatte sich Dittes mit politischen Fragen beschäftigt, und im Zusammenschluß der Lehrer zu eigenständigen Berufsorganisationen sah er einen Weg, entsprechende Ziele durchzusetzen. Folgerichtig war er im August 1848 dabei, als in Dresden 900 Lehrer einem Aufruf K.F.W.Wanders gefolgt waren und den Allgemeinen Deutschen Lehrerverein gründeten. Das Studium der philosophischen und psychologischen Schriften Eduard Benekes führte ihn zu der Erkenntnis, daß sich die Erziehung von der Natur des Kindes und nicht von kirchlichen Dogmen leiten lassen müsse. In mehreren Schriften beschäftigte er sich mit Fragen der Religion in der Schule. Plädierte er in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts für einen konfessionslosen Religionsunterricht in der Schule, so trat er 1870 für eine konsequente Trennung von Kirche und Schule ein. Zu diesem Zeitpunkt war Friedrich Dittes schon ein im gesamten deutschsprachigen Raum bekannter Mann. Geachtet und verehrt von der großen Schar der Volksschullehrer, gehaßt und verketzert von konservativen Kräften, stand er an der Spitze des Kampfes für schulpolitischen und pädagogischen Fortschritt. Seine Lebensstationen in den sechziger Jahren hatten ihm dafür den Boden bereitet. 1860 bis 1865 war er Subrektor der Chemnitzer Real schule und zugleich seit 1863 Vorsitzender des Chemnitzer Lehrervereins. In dieser Eigenschaft trat er 1864 entschieden gegen die von der Regierung veranlaßte Niveausenkung in der Ausbildung der sächsischen Lehrer auf. 1865 ging er als Direktor des Lehrerseminars nach Gotha. Mit großem Erfolg setzte er zahlreiche pädagogische Neuerungen durch, vor allem vermittelte er seinen Seminaristen ein hohes Berufsethos. Der Lehrer brauche "heiligen Eifer für die Veredelung der Kinder des Volkes", lehrte er seine Studenten, und er lebte ihnen diese Haltung täg lich vor. Doch auch im liberalen Herzogtum Gotha stellten sich ihm Widersacher in den Weg, als er konsequent seinen Standpunkt verfocht, einen konfessionslosen Religionsunterricht einzuführen. 1868 nahm Dittes einen Ruf nach Wien an, um das dortige "Paedagogium", eine Art Weiterbildungsinstitut, zu leiten. Er verstand es, diese Einrichtung innerhalb kurzer Zeit zu hohem Ansehen zu führen, indem sie die bedeutendste Anstalt zur Fortbildung von Volksschullehrern im deutschsprachigen Raum wurde. Doch auch in Wien gab es einflußreiche Kräfte, insbesondere aus den Reihen des katholischen Klerus, die seinen Bestrebungen, Kirche und Schule entschieden voneinander zu trennen, hartnäckigen Widerstand entgegensetzten. Nach jahrelangen Querelen gegen Dittes hatten sie 1884 seine vorzeitige Pensionierung durchgesetzt. Dittes schied verbittert aus seinem Amt - seinen Kampf um eine demokratische Schule führte er jedoch unerschrocken weiter. Schon 1878 hatte er seine Monatsschrift "Paedagogium" ins Leben gerufen mit dem Ziel, "der freien Pädagogik Schutz und Wehr zu bieten gegen die reaktionären Strömungen der Zeit". In unermüdlichem Eifer veröffentlichte er in ihr regelmäßig größere Aufsätze und un gezählte Rezensionen zu pädagogischen Neuerscheinungen, und 1890 trat er als begeisternder Festredner auf dem 8. Deutschen Lehrertag auf. Zahlreiche Lehrervereine in allen Teilen Europas würdigten sein Schaffen mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Als Friedrich Dittes am 15. Mai 1896 starb, vollendete sich ein Leben unerschrockenen Kampfes für eine bessere Erziehung der jungen Generation. Es vollendete sich das Leben eines Mannes, der es mit Beharrlichkeit und Fleiß vom einfachen vogtländischen Häuslerjungen zu einem der bedeutendsten Pädagogen Deutschlands gebracht hatte.