Volksschullehrer, Heimatforscher, Museumsdirektor - vor 50 Jahren starb Erich Wild

von Roland Schmidt

 
Unter den Volksschullehrern des Vogtlandes, die sich neben ihrer täglichen Unterrichtsarbeit mit Forschungen zur Natur und Geschichte ihrer Heimat beschäftigt haben, gebührt ihm zweifellos ein Ehrenplatz – Erich Wild, dessen Todestag sich am 27. Oktober 2014 zum 50. Male jährt. Als Sohn eines Saitenmachers am 4. November 1895 in Markneukirchen geboren, besuchte er die Volksschule seiner Heimatstadt und bereitete sich von 1910 bis 1915 am Seminar Auerbach auf seine Tätigkeit als Volksschullehrer vor. Doch nicht das Klassenzimmer, sondern die Schützengräben des Ersten Weltkrieges wurden sein erster Einsatzort. Das dort erlebte Leid prägte ihn fürs Leben. Als er im Dezember 1918 in den Schuldienst trat, traf der für reformpädagogische Ideen begeisterte Wild auf manch gleichgesinnte Kollegen, die wie er einen Unterricht erstrebten, in der der Schüler Subjekt ist. Wild widmete sich mit ganzer Kraft seinen schulischen Aufgaben. Er forderte die Schüler zu eigenem Denken und Sprechen heraus. Bereits nach 8-monatigem Schuldienst attestierte ihm Schulleiter Göhler das Bestehen der Wahlfähigkeitsprüfung, so dass er eine ständige Anstellung erhielt. Doch Wilds pädagogische Tätigkeit beschränkte sich nicht allein auf die Schule. Er beteiligte sich an damals aktuellen weltanschaulichen und historischen Diskussionen, er trat mit seinen Erkenntnissen vor Lehrern des Oelsnitzer Schulamtsbezirkes auf und publizierte in wissenschaftlichen Zeitschriften. Neben seinem wöchentlichen Unterrichtspensum betätigte sich Erich Wild als Heimatforscher, wobei dem oberen Vogtland seine besondere Aufmerksamkeit galt. In zahlreichen größeren und kleineren Arbeiten – sein Publikationsverzeichnis umfasst mehr als 200 Titel – machte er seine Erkenntnisse einem großen Leserkreis bekannt. Damit leistete er einen unschätzbaren Beitrag zur Geschichte des Vogtlandes und damit auch zur engeren Bindung der Menschen an ihre Heimat. Seine „Geschichte von Markneukirchen“ (1925), die „Regesten zur Geschichte des Vogtlandes im 14. - 17. Jahrhundert“ (1929), die „Geschichte und Volksleben des Vogtlandes in Quellen aus 700 Jahren“ (1936) gehören bis heute zum unverzichtbaren Arbeitsmittel jedes vogtländischen Geschichtsforschers. Schließlich leistete Erich Wild eine umfangreiche politische Arbeit für die SPD, der er seit 1920 angehörte. Er saß für sie viele Jahre im Markneukirchner Stadtrat und vertrat dort die Interessen des arbeitenden Volkes. Seit Anfang der dreißiger Jahre widersetzte er sich immer stärker dem wachsenden Einfluss der Nazis, die ihn das nach ihrem Machtantritt spüren ließen. Bereits im März 1933 warfen sie ihn kurzzeitig in „Schutzhaft“, danach folgten weitere Verhöre in Oelsnitz und Zwickau-Osterstein. Erich Wild wehrte sich gegen seine drohende Strafversetzung, weil er seine heimatgeschichtlichen Forschungen gefährdet sah, doch die Nazis schenkten seiner Bitte kein Gehör. Sie verfügten 1934 seine Strafversetzung nach Wilkau-Haßlau, wo er bis 1945 als Lehrer tätig war. Wie vorher in Markneukirchen interessierte er sich auch an seinem neuen Wirkungsort für dessen Geschichte und publizierte die Ergebnisse seiner Forschungen. Dagegen war er fest entschlossen, sich jeglicher politischer Tätigkeit zu enthalten. Als ihm aber 1937 die Entlassung aus dem Schuldienst angedroht wurde, wenn er nicht der NSDAP beiträte, unterschrieb er die „Anwärterkarte“ für diese Partei. Doch die Nazis selbst lehnten Wilds Antrag ab, nachdem sie sich über seine frühere politische Arbeit in Markneukirchen erkundigt hatten. 1945 kam Erich Wild in seine Heimatstadt zurück. Er stellte sich sofort dem demokratischen Neuaufbau zur Verfügung und wurde Schulleiter in Markneukirchen. Er übernahm die Verantwortung für die Bildung und Erziehung von knapp 1100 Mädchen und Jungen sowie die Arbeit eines rund 40-köpfigen Lehrerkollegiums. Er stellte sich dieser Aufgabe mit ganzer Kraft, und viele ehemalige, inzwischen in Ehren ergraute Schülerinnen und Schüler erinnern sich noch heute dankbar an ihren Lehrer Erich Wild. Neben seiner Tätigkeit als Direktor der Markneukirchner Schule wirkte er als Dozent an der Neulehrerausbildung in Mühlhausen bei Bad Elster mit, außerdem fungierte er als Leiter der Volkshochschule seiner Heimatstadt. Schließlich übte er zahlreiche gesellschaftliche Funktionen im politischen wie geistig-kulturellen Leben seiner Heimatstadt und des Kreises Oelsnitz aus, und auch seine volkskundlichen und heimatgeschichtlichen Forschungen setzte er mit ungebrochenem Eifer fort. Doch die politischen Gegner von einst ruhten nicht, vielmehr schürten sie gegen Erich Wild seit seiner Rückkehr in den vogtländischen Musikwinkel mit Gerüchten und Halbwahrheiten ein stetes Feuer, so dass ihn letztlich auch seine eigene Partei, die SED, trotz aller seiner Verdienste fallen ließ. Ende September 1950 wurde Erich Wild fristlos aus dem Schuldienst entlassen und aller politischen Ämter enthoben. Es folgte zweifellos die bitterste Zeit seines Lebens, denn Erich Wild verlor nicht nur seinen Beruf, der ihm Berufung war, sondern auch seine Existenzgrundlage und nicht zuletzt ein gut Stück seiner bisherigen öffentlichen Anerkennung. Doch ein Aufgeben gab es für ihn nicht. Er vertiefte sich in neue Projekte heimat- und wirtschafts-geschichtlicher Forschung. 1954 beauftragte ihn die Stadt Markneukirchen, die Leitung des Musikinstrumentenmuseums zu übernehmen. Er stürzte sich mit Elan in die neue Aufgabe, vervollständigte zielstrebig die wertvollen Sammlungen, bereicherte mit eigenständigen Beiträgen die damals noch junge Museumspädagogik und führte selbst unzählige Besuchergruppen durch das Haus. Mit dem Museum, dessen Gestaltung das letzte Lebensjahrzehnt Erich Wilds bestimmte, schuf er sich neben seinen Leistungen als Lehrer und als überaus produktiver Heimatforscher ein drittes bleibendes Denkmal. Als Erich Wild am 27. Oktober 1964 starb, schrieb sein langjähriger Kollege Johannes Reichel in einem Nachruf, „seiner Leistungen für die Heimat wird man über Generationen hinaus ehrend gedenken“. Heute, 50 Jahre später, können wir das nur bestätigen.
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