Ein Festtag für die ganze Stadt

von Roland Schmidt

 
Am 3. Juni 1841 – vor 175 Jahren – war es endlich soweit: in der Syrastraße wurde Plauens Allgemeine Bürgerschule geweiht, die in knapp dreijähriger Bauzeit auf dem Gelände unterhalb des Hradschins errichtet worden war. Die Freude über das neue Schulhaus war so groß, dass seine Eröffnung zu einem Festtag für die ganze Stadt wurde. Bereits am frühen Morgen kündigten Glockengeläut und Posaunenklänge das Ereignis an, und in den Vormittagsstunden lockte der Festzug der rund 1700 Schüler und ihrer Lehrer sowie der Honoratioren der Stadt vom Markt zum neuen Schulhaus viele schaulustige Bürger an. Vor dem Portal standen die Menschen dichtgedrängt, unter ihnen auch die Schüler und Lehrkräfte des Gymnasiums und des Lehrerseminars. In einer kurzen Ansprache würdigte Superintendent Dr. Christian Fiedler das „eigens und ausschließlich zur Förderung des Heils der Kinder“ geschaffene Gebäude. Nach einem Gebet öffnete sich das Portal des Hauses für die Ehrengäste, Schüler und Lehrer. Im Festsaal sprach Bürgermeister Ernst Wilhelm Gottschald in seiner Weiherede über die Notwendigkeit und Schwierigkeit, diese neue Allgemeine Bürgerschule zu errichten, und übergab anschließend den Schlüssel an Adolph Gustav Caspari, der im Januar 1841 vom Stadtrat zum Direktor der Bildungsstätte berufen worden war. Caspari erklärte in seiner Festrede, Ziel der Allgemeinen Bürgerschule sei es, allen Kindern, Jungen wie Mädchen, eine Bildung zu vermitteln, die die Grundlagen legt für die sittlichen und religiösen Werte eines bürgerlichen Lebens. Sie sei auf die Entwicklung aller Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet, die es den Schülern später ermöglichen, einen Beruf zu erlernen und als selbstbewusste Bürger ein eigenständiges Leben zu führen. Diesen Gedanken griff auch Prof. Dr. Christian Gottlieb Pfretzschner auf, der Direktor der Königlichen Gewerbschule Plauen, die als staatliche Einrichtung 14 – 17jährige Knaben zu einer vertieften mathematisch-naturwissenschaftlichen und gewerblichen Ausbildung führte. Diese Schule mit ihren 66 Schülern war bereits am 1. Oktober 1840 in das neue Schulhaus eingezogen, wo sie bis ihrem Umzug in einen Neubau in der Seminarstraße (1848) Gastrecht genoss. Pfretzschner stellte seine Rede unter das Motto „Auch die Gewerbschule ist eine Bürgerschule!“ und verwies auf die Bedeutung einer gründlichen Berufsausbildung für die Entwicklung bürgerlicher Lebensverhältnisse. Nach dem offiziellen Weiheakt führte Bürgermeister Gottschald die Ehrengäste durch die Schule. Am Nachmittag trafen sich die Bürgerschulkinder auf dem Turnplatz am Anger zu fröhlichem Spiel, und der Abend vereinte Honoratioren der Stadt, leitende Bauleute und Lehrer der Bürgerschule zu einem Festmahl in der Erholungs-Gesellschaft in der Neundorfer Straße. Mit der Weihe der Allgemeinen Bürgerschule hatte die Stadt Plauen den entscheidenden Schritt getan, das seit 6. Juni 1835 im Königreich Sachsen geltende „Gesetz, das Elementarschulwesen betreffend“ zu erfüllen. Der nach Plänen von Wilhelm Vogel und Ernst Otto Roßbach errichtete dreistöckige klassizistische Bau verfügte über 28 Unterrichtsräume, einen Festsaal und zahlreiche Funktionszimmer. Er war perspektivisch für 2000 Schüler geplant und ausgeführt, und er war das erste Gebäude in der Stadt, das ursächlich als Schule erbaut worden war. Das neue Schulhaus beendete den seit Jahrzehnten beklagten Zustand, dass die Kinder des einfachen Volkes in oft unwürdigen Räumen unterrichtet wurden. Das betraf die Knaben im Haus am Schulberg ebenso wie die Mädchen im „Gemeindekirchkasten“ am Kirchplatz, vor allem aber die rund 500 Kinder in den acht „Torschulen“ an den ehemaligen Stadttoren. Sie alle hielten nun Einzug in helle und freundliche Räume, in denen das Lernen Spaß machte. Doch auch der Lehrkörper der neuen Schule wurde qualitativ aufgewertet. Das begann mit Direktor Caspari, der einschlägige Erfahrungen als Leiter der Annaberger Bürgerschule mitbrachte. Er suchte ständig nach neuen Wegen in der Unterrichtsarbeit, vor allem in Mathematik und Naturkunde, und er setzte sich mit ganzer Kraft für eine bessere Bildung der Mädchen ein. Ihm zur Seite standen erfahrene Lehrer wie Kantor Johann Friedrich Fincke, Adolph Ehregott Gritzner oder Johann Gottlieb Günnel, die mit ihm am gleichen Strang zogen. Zugleich reiften unter Casparis Führung junge Absolventen des Plauener Lehrerseminars wie Carl Friedrich Höckner sowie später Friedrich Krause und Friedrich Dittes zu anerkannten Pädagogen. Sie alle gingen mit Elan an ihre Arbeit, immer auf der Suche nach pädagogischem Neuland. So war es kein Zufall, dass in der Plauener Bürgerschule bereits 1843 Turnen erteilt wurde, 20 Jahre vor seiner offiziellen Einführung in den sächsischen Volksschulen, oder dass Friedrich Fröbel in den Jahren 1846 und 1847 auf Einladung des Lehrerkollegiums in der Schule für seine Kindergartenidee werben konnte. Schließlich wurde der Begriff „Bürgerschule“ in Plauen auch durch die Tatsache gekennzeichnet, dass die Bildungsstätte in der Syrastraße ohne die aktive Beteiligung der Bürger nicht (oder zumindest nicht in dieser kurzen Zeit) zustande gekommen wäre. Bürgerliches Engagement war es, das der Stadt nach 1835 half, den schwierigen Spagat zwischen gesetzlicher Pflicht zum Neubau und fehlendem Geld dafür zu meistern, nachdem die Beseitigung der Flutschäden 1834 ein großes Loch in die Stadtkasse gerissen hatte. Ein Bürgerkomitee warb ab 1836 für den Kauf von Stadtschuldscheinen, die zu gestaffelten Preisen von allen Bürgern erworben werden konnten und im Laufe von 26 Jahren nach einem Losverfahren von der Stadt zu vierprozentiger Verzinsung zurückgekauft wurden. Auf diesem Wege kamen bis 1838 rund 20 000 Taler in die Stadtkasse, ein Großteil der Baukosten für die neue Schule. Darüber hinaus wurden alle steuerpflichtigen Bürger mit einem geringen Aufschlag belastet, um die Zinskosten aufzubringen. Dieser Finanzierungsplan ging auf, er wurde erste Mitte der 1860er Jahre abgeschlossen. Zu dieser Zeit konnte die Schule bereits auf 25 Jahre erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Mit der wachsenden Zahl der Schulkinder in der Stadt änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. auch die Funktion der Allgemeinen Bürgerschule. Aus der ursprünglich nur in drei Gruppen unterteilten Schülerschaft mit unterschiedlichen Bildungszielen und Schulgeldern unter einer Leitung und einem Dach entwickelten sich später eigenständige Schulen in neuen Schulhäusern. Die Schule an der Syrastraße beherbergte ab 1874 die Höhere Bürgerschule und von 1890 bis 1945 war sie das Domizil der Plauener Realschule. 1945 brannte das Schulhaus nach einem Bombenangriff aus, 1948 wurde seine Ruine abgerissen.