Die Plauener Torschulen zu Beginn des 19. Jahrhunderts

von Roland Schmidt

 
Als der Rat der Stadt Plauen am 23. Juni 1800 dem Ersuchen des Superintendenten Tischer stattgab, „vor den Thoren der Stadt“ Katecheten zur Unterrichtung der Kinder anzustellen, leitete er keineswegs eine neue Phase in der Entwicklung des Plauener Schulwesens ein. Vielmehr sanktionierten die Stadtväter einen Prozess, der sich bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert angebahnt hatte, über viele Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen war und endlich einer ordentlichen Regelung bedurfte. Wie in anderen Städten hatte es auch in Plauen eine Stadtschule gegeben, deren Leistungsfähigkeit argen Schwankungen ausgesetzt war und die sich einer starken Konkurrenz seitens der zahlreichen Winkelschulen erwehren musste. Bereits 1667 hatte deshalb eine Schulvisitation durch Herzog Moritz von Sachsen-Zeitz (das Vogtland gehörte 1657 bis 1718 zur wettinischen Nebenlinie Sachsen-Zeitz) stattgefunden, in deren Ergebnis zum einen wichtige Maßnahmen zur Hebung des Bildungsniveaus der Stadtschule getroffen, zum anderen aber durch den Landesherrn bekräftigt wurde, dass die bestehenden privat betriebenen Schulen nicht zu entbehren waren. Besonders die Schule „in der Vorstadt vor der Brücke“ (über die Weiße Elster) fand ausdrückliche Erwähnung mit dem Auftrag an die Stadtväter und den Superintendenten, ihre Lehrer zu examinieren und zu Fleiß und gewissen Lektionen an(zu)halten“, sie jedoch vor jedem Abwerben von Schülern der Stadtschule zu ermahnen. Damit hatte Herzog Moritz von Sachsen-Zeitz die Schule vor dem Brückentor unter behördliche Aufsicht gestellt. Diese Aufsicht wurde in den folgenden Jahrzehnten auch auf die Schulen an den anderen Toren der Stadt ausgedehnt, und rund 150 Jahre später, am 23. September 1822, wurde das sogar in einer „Ordnung für die Thor- und Spinnmaschinenschulen“ festgeschrieben.(Die Spinnmaschinenschulen waren Schulen für die in den Fabriken arbeitenden Kinder, die vor und nach der täglichen Arbeitszeit besucht wurden.) Dieses Dokument definierte die Torschulen als „durch die Schulinspektion autorisierte Schulanstalten für die Kinder der ärmeren Einwohner in den Vorstädten“. Ausdrücklich verwies es darauf, dass sie den Kindern wohlhabender Eltern in den Vorstädten nicht zugängig sind, um diese nicht der öffentlichen Stadtschule am Schulberg bzw. der Mädchenschule in der Unteren Endestraße zu entziehen. Die Lehrer der Torschulen – so lesen wir in der Quelle weiter – sollen „aus den Schülern der 1. Klasse (das heißt den ältesten Schülern, da damals die Schuljahre entgegen unserer heutigen Gewohnheit gezählt wurden – R.S.) hiesiger Stadtschule genommen und nach...Prüfung ihrer Tüchtigkeit durch Herrn Superintendenten D. Tischer als wirkliche Katecheten“ angestellt werden. Sollte sich aus ihren Reihen kein tauglicher Kandidat finden lassen, so war es dem Rat der Stadt überlassen, auch auf jüngere Schüler zurückzugreifen. Als Bedingung für eine Anstellung galten das vollendete 17. Lebensjahr, ein sittlicher Lebenswandel und so viele Kenntnisse in der Religion, im Lesen, Schreiben und Rechnen, dass der Katechet Kinder bis zum 14. Lebensjahr „das Notwendigste in vorgedachten Lehrgegenständen zu lehren vermag.“ Die als Torschullehrer angestellten jungen Männer behielten alle Rechte und Pflichten als Schüler der Stadtschule, entscheidender aber war, dass sie täglich mindestens drei Stunden Unterricht - eine Stunde für die jüngeren und zwei für die älteren Kinder – zu erteilen hatten, wobei sie sich keine Abweichungen gegenüber dem Lehrplan erlauben durften. Darüber hinaus hatten sie jährlich zu Ostern und zu Michaelis (29. September) genaue Rechenschaft über ihre Arbeit sowie den Schulbesuch und die Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Schüler zu geben. Gleichzeitig waren sie verpflichtet, der Schulinspektion alle Kinder ihres Schulbezirkes zu melden, die keine städtisch autorisierte Schule besuchten. Höhepunkt eines jeden Schuljahres waren die öffentlichen Prüfungen der Torschüler durch ihre Lehrer, die in den Räumen der Stadtschule am Schulberg stattfanden. Jeder Torschullehrer hatte das Recht, von jedem seiner Schüler wöchentlich einen Groschen Schulgeld zu fordern. Wie schwierig sich das oftmals gestaltet haben mochte, lässt die Torschulordnung von 1822 durch die Bemerkung ahnen, dass nach Ermessen der Schulinspektion für Kinder ganz armer Eltern der Betrag auf die Hälfte oder auch ganz erlassen werden konnte. Der Lehrer erhielt für diese Einbuße jedoch keinen Ausgleich, denn ein „Anspruch auf Besoldung... aus dem öffentlichen Fond“ wurde ihm ausdrücklich verwehrt. Doch auch das eingenommene Schulgeld hatte der Lehrer nicht nur zu seiner persönlichen Verfügung, vielmehr musste er davon sämtliche Ausgaben für die Schule, vor allem Miete, Heizung und Beleuchtung, in eigener Rechnungsführung bestreiten, so dass für ihn selbst nur ein geringer Betrag übrig blieb. Unter diesen Bedingungen wies das Plauener Torschulwesen die gleichen Mängel auf wie das Elementarschulwesen in anderen sächsischen Städten. So wurde in einer Eingabe im Jahre 1833 gerügt, dass die Zustände in den insgesamt acht Torschulen um das Neundorfer, Straßberger, Syrauer sowie Hammer- und Brückentor, die zusammen von etwa 650 Kindern besucht wurden, zu wünschen übrig ließen. Die Schulen würden von den Lehrern meist in „gewöhnlichen Wohnstuben“ betrieben, „wo häufig zugleich allerlei häusliche Hantierungen“ verrichtet würden, während die Stadt nichts unternehme, diesen Missständen abzuhelfen. So verständlich diese Kritik auch war, der Vorwurf gegen die Stadt war so pauschal unberechtigt. Die Ratsherren der Stadt, die um 1835 etwa 10 000 Einwohner zählte, waren sich der unbefriedigenden Situation wohl bewusst, es fehlte aber das Geld für die Schaffung besserer Schulen. Das „Gesetz, das Elemtar-Volkschulwesen betreffend“ vom 6. Juni 1835 verlieh dem Problem jedoch deutlichen Nachdruck, denn die sich auch in Plauen herausbildende Fabrikindustrie forderte auch für die Volksbildung Lösungen in größeren Dimensionen. Die Stadtväter beschlossen deshalb 1836 den Bau einer Bürgerschule am Syrauer Tor, in der etwa 2000 Kinder „sowohl reiche als arme...in einem Haus, wiewohl für beide Geschlechter getrennt“, unterrichtet werden sollten. Zu dieser Schule wurde 1838 der Grundstein gelegt, und im Juni 1841 wurde sie feierlich geweiht. Sie machte nicht nur die Torschulen überflüssig, sondern wurde auch zum Ausgangspunkt eines zeitgemäßen Volksschulwesens in Plauen.