< Die Herbartschule wird 100 Jahre alt - Schulgeschichte des sächsischen Vogtlandes

Die Herbartschule wird 100 Jahre alt

von Roland Schmidt

 
Strahlender Sonnenschein herrschte am 8. Oktober 1906 - vor 100 Jahren - über der Vogtlandmetropole und gab der feierlichen Weihe der XII. Bürgerschule in der Plauener Südvorstadt einen würdigen Rahmen. Geleitet von Oberbürgermeister Dr. Johannes Ferdinand Schmid begaben sich die Honoratioren der Stadt, zahlreiche Ehrengäste, Lehrer, Eltern und Schüler in die Turnhalle der Schule, und nach dem gemeinsamen Gesang eines Chorals übergab Bezirksschulinspektor Dr. Friedrich Wilhelm Putzger die zunächst noch namenlose Unterrichtsstätte ihrer Bestimmung. Nach ihm drückte das Plauener Stadtoberhaupt Dr. Schmid seinen Stolz über den vollendeten Bau aus, konnte doch innerhalb weniger Jahre bereits die dritte große Volksschule in Plauen geweiht werden. 1902 war in der Ostvorstadt die IX. und drei Jahre später in der Dittesstraße die XI. Bürgerschule eröffnet worden, der nun die XII. in der Südvorstadt folgte. Diese Eile war auch dringend geboten, denn um die Wende vom 19. zum 2o. Jahrhundert erlebte Plauen dank der florierenden Spitzen- und Gardinenindustrie ein rasantes Wachsen ihrer Einwohnerzahl. Das erforderte einen verstärkten Schulbau, und die Stadtverwaltung musste alle Kräfte mobilisieren, für die immer größer werdende Schülerzahl die erforderlichen Unterrichtsräume bereitzustellen. Die Kinder der damals entstehenden Südvorstadt mussten weite Schulwege in die Ostvorstadt, zum Anger oder bis zur (späteren) Dittesschule in Kauf nehmen. Abhilfe war dringend geboten, und so beschlossen die Plauener Stadtverordneten im April 1905, für rund 615 000 Mark auf dem Areal zwischen Reinsdorfer und Herbartstraße die XII. Bürgerschule zu errichten. Eigentlich sollte sie erst Ostern 1907 fertiggestellt werden, doch das rasche Wachsen des neuen Wohngebietes erforderte schnellere Lösungen, so dass dank konzentrierten Einsatzes aller Gewerke das Schulhaus bereits im Herbst 1906 übergeben werden konnte. Der Stolz, der aus den Worten des Bürgermeisters klang, galt aber nicht nur dem früheren Termin der Schulweihe, sondern auch der achitektonischen Schönheit des Gebäudes und seiner inneren Ausstattung, die den damals modernsten Erkenntnissen des Schulbaus entsprach. Auch hier hatte die Stadt den seit Jahren praktizierten Kurs erfolgreich fortgeführt, nicht nur zweckmäßige, sondern auch ästhetisch ansprechende Schulen zu bauen. Bald galt die XII. Bürgerschule als eine der größten und schönsten Schulen Sachsens. Und das zu Recht. Sie verfügte über 31 helle Unterrichtsräume, die nach den damals modernsten Methoden beheizt wurden. Die Toiletten befanden sich - zu jener Zeit keineswegs selbstverständlich - in jeder Etage, und in allen Korridorflügeln gab es Wasch- und Trinkgelegenheiten für die Schüler. Die Turnhalle war direkt mit dem Hauptgebäude verbunden, und im Kellerbereich war ein Brausebad installiert worden, das von den Schülern gegen ein geringes Entgelt benutzt werden konnte. Darüber hinaus war im Keller eine Kochschule mit zehn von allen Seiten zugänglichen Herden eingerichtet worden. Die weithin sichtbare Dachkonstruktion mit einem Uhren- und Glockenturm gab der Schule ihr typisches Aussehen - leider fiel sie bei Sanierungsarbeiten in den siebziger Jahren dem Rotstift zum Opfer. Doch nicht nur das Gebäude, auch der Schulhof konnte sich sehen lassen. Er enthielt eine überdachte, hygienisch unbedenkliche Trinkgelegenheit für die Schüler, den Schulgarten zierte eine kleine Teich- und Sumpflandschaft, und der benachbarte Dillnerplatz schmückte die Schule ebenfalls. Den damals dreifach untergliederten Volksschulen entsprechend war die XII. Bürgerschule eine "einfache Volksschule", d.h. ihr Unterrichtsprogramm war geringer als das einer mittleren oder gar höheren Volksschule. Dafür war auch weniger Schulgeld zu zahlen, es belief sich auf wöchentlich 10 - 15 Pfennige. 1906 nahmen 478 Knaben und 502 Mädchen in 22 Klassen den Unterricht auf. Er wurde von 17 Lehrern erteilt, denen Louis Klotz als Direktor vorstand. Bedingt durch den weiteren Ausbau der Südvorstadt erhöhte sich die Schülerzahl bis 1914 auf mehr als 1500, und auch das Lehrerkollegium vergrößerte sich. Der Erste Weltkrieg hat diese Entwicklung jäh unterbochen. Bis auf den Direktor mussten alle Lehrer zum Militär einrücken, fünf von ihnen fielen an der Front. Der Unterricht wurde weitgehend durch Hilfskräfte erteilt, die Stundenzahl wurden gekürzt und Klassen zusammengelegt, so dass bei den Schülern ein großer Leistungsabfall zu beklagen war. Laut Übergangsschulgesetz von 1919 wurde in ganz Sachsen eine einheitliche allgemeine Volksschule eingeführt, die auch der XII. Bürgerschule die Gleichstellung mit anderen Volksschulen der Stadt brachte. 1920 erhielt sie den verpflichtenden Namen des großen deutschen Pädagogen Johann Friedrich Herbart (1776 - 1841). Anfang der dreißiger Jahre machte die Plauener Herbartschule deutschlandweit Schlagzeilen, da sie bestreikt wurde. Wegen der katastrophalen Lebensbedingungen in Folge der Weltwirtschaftskrise verlangten die Eltern u.a. Schulspeisung und Lehrmittelfreiheit für ihre Kinder, wobei sie von Eltern der Kemmlerschule unterstützt wurden. Drei Tage lang, vom 26. bis 29. November 1932, blieb etwa die Hälfte der Herbartschüler dem Unterricht fern, doch die Stadtverwaltung erfüllte keine der Forderungen. Mit dem Machtantritt der Nazis verlor der langjährige Direktor Kurt Bolduan sein Amt. Im Februar 1941 wurde die Herbartschule binnen zwei Tagen für Kriegszwecke geräumt und die Schüler mussten fortan die Angerschule besuchen. Beim Bombenangriff auf die Südvorstadt am 26. 3. 1945 fiel die Turnhalle in Schutt und Asche. Das erste Nachkriegsschuljahr begann notgedrungen in der Kemmlerschule, weil die Herbartschule noch als Krankenhaus genutzt wurde. Von 1946 bis 1950 teilten sich Schule und Klinik das Gebäude. Im Zuge der Schaffung gleicher Bildungsmöglichkeiten auch für die ländliche Bevölkerung wurde die Herbartschule ab 1951 auch von den Schülern aus Thiergarten und Meßbach besucht. Zunächst betraf das nur die oberen vier Schuljahre, ab 1962 auch die kleinen Klassen. 1959 wurde die Herbartschule zu einer 10jährigen Schule mit polytechnischer Bildungskonzeption umgestaltet. Dank des Einsatzes weitblickender Pädagogen - genannt sei hier vor allem der langjährige Direktor Siegfried Thoß - konnten in den siebziger Jahren wiederholte Versuche abgewehrt werden, der Schule den Namen eines kommunistischen Funktionärs zu geben. Mit der politischen Wende 1989/90 änderte sich auch der Bildungsauftrag der Herbartschule. Sie wurde zur Grundschule umgestaltet, die jedoch infolge des starken Geburtenrückgangs nur von etwas mehr als 100 Kindern besucht wird. Gleichzeitig wurde das Gebäude zur Heimstätte der Plauener Volkshochschule, die sich immer stärkeren Zuspruchs in der Bevölkerung erfreut. Mögen beide Einrichtungen dem Namen "Herbartschule" auch in Zukunft alle Ehre machen!