Die erste Plauener Bürgerschule an der Syrastraße

von Roland Schmidt

 
Wer heute in der Plauener Schulstraße ein Schulgebäude sucht, wird dies vergebens tun. Doch für mehr als 100 Jahre hatte der Straßenname seine Berechtigung. Die Schulstraße führte direkt zu einem klassizistischen Gebäude, das sich jenseits der Syra unterhalb des Hradschin befand. Es war die Plauener Bürgerschule, die später als höhere Bürgerschule und dann als Real- und auch Oberrealschule diente. Diese Bildungsstätte war für Plauen in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Ihr Gebäude war das erste in der Stadt, das von vornherein als Schule projektiert und errichtet worden ist. Daraus ergab sich seine großzügige Architektur, die das Haus zu einer Zierde der Stadt werden ließ. Am wichtigsten war jedoch die Funktion der Schule, über viele Jahre hinweg die Bildungsstätte für die Kinder des einfachen Volkes zu sein. Der Bau der Bürgerschule war in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer dringenden Notwendigkeit geworden. Das Landrocksche Haus am Schulberg, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Johanniskirche gelegen, platzte aus allen Nähten, so dass weder am Gymnasium noch an der Stadtschule vernünftig gearbeitet werden konnte, und die acht Torschulen für die ärmsten Kinder der Stadt blieben mit ihrem dürftigen Unterricht weit hinter den Forderungen der Zeit zurück. Zudem verlangte das sächsische "Gesetz, das Elementar-Volksschulwesen betreffend" vom 6. Juni 1835, der Bildung und Erziehung dieser Kinder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Stadtväter standen also in der Pflicht, und das sich abzeichnende weitere Anwachsen der Einwohnerzahl - 1835 zählte Plauen etwa 10 000 Bürger - unterstrich die Dringlichkeit des Projekts mit jedem Tag. Die verheerende Wasserflut der Syra am 22. Juli 1834 hatte dabei ungebetene Hilfe geleistet. Sie spülte die unterhalb des Hradschins gelegene Gaststätte "Zum goldenen Herz" hinweg, und Bürgermeister Gottschald sah in der freigewordenen Fläche sofort den geeigneten Standort für den Schulneubau. Die Stadt erwarb dieses Grundstück und kaufte zwei benachbarte Häuser zu Abrisszwecken hinzu. Darüber hinaus wurde ein Teil der Stadtmauer mit dem Syrauer Tor abgetragen, so dass das nötige Baugelände gewonnen war. Im Herbst 1837 begannen die konkreten Vorbereitungsarbeiten. Die beiden Plauener Baufachfachleute Ernst Otto Roßbach (Außenbau) und Wilhelm Vogel (Innenbau) entwarfen die Pläne für das imposante Gebäude. Seine Hauptfont war 45 Meter lang und die Seiten waren 18 Meter tief. Die Kapazität der Schule war von Anfang an mit Weitblick bedacht worden, sie war für 2000 Schüler geplant. Erste Berechnungen gingen von 32 000 Talern Baukosten aus, doch es gelang, die für die damalige Zeit beachtliche Summe zu verringern. Zum einen brachte der Verkauf der Gast- und Braurechte des "Goldenen Herzen" zusätzlich Geld, zum anderen konnten zahlreiche Baumaterialien verwendet werden, die zuvor beim Abriss des Neundorfer und des Straßberger Tores gewonnen worden waren. Schließlich verbilligten auch Einsparungen an den ursprünglich geplanten Mauerstärken das Projekt, so dass am Ende etwa 25 000 Taler zu Buche standen. Diese Summe war für die Stadt dennoch eine beträchtliche Last, denn die Beseitigung der Schäden der Flutwelle der Syra hatte große Löcher in die Stadtkasse gerissen. Am 4. September 1838, am Jahrestag der ersten sächsischen Verfassung von 1831 - erfolgte die Grundsteinlegung, und nach knapp dreijähriger Bauzeit war das Gebäude vollendet. Am 3. Juni 1841 wurde es eingeweiht. Unter Glockengeläut zogen vom Altmarkt aus die Honoratioren der Stadt sowie etwa 1600 Schüler zum neuen Schulhaus in der Syrastraße. Superintendent Fiedler hielt die Weiherede und danach sprachen der Bürgerschuldirektor Caspari und der Direktor der Königlichen Gewerbschule, Prorektor Pfretzschner. Sie stellten die Aufgaben beider Schulen vor, die zunächst unter demselben Dach Platz fanden. Während die Bürgerschule das Ziel verfolgte, allen Kindern eine solide Grundausbildung zu vermitteln, diente die Gewerbschule der beruflichen Vorbereitung der Jugendlichen. Diese enge Nachbarschaft beider Schulen dauerte bis 1848 an, dann bezog die Gewerbschule ein eigenes Gebäude in der Seminarstraße. Die Bürgerschule nahm in den darauffolgenden Jahren einen rasanten Aufschwung. Bis 1861 verdoppelte sich die Zahl der Schüler und Lehrer. In den siebziger Jahren wurde sie in eine Höhere Bürgerschule umgewandelt. Dieser Schultyp zog 1889 in das neu erbaute Schulhaus an der Ziegel- / Ecke Karlstraße. Das Gebäude an der Syrastraße diente vorübergehend mehreren Schultypen als Heimstätte, doch immer mehr breitete sich in ihm die Realschule aus, und ab 1914 wurden hier auch die ersten Klassen der künftigen Oberrealschule unterrichtet. Unter der Bezeichnung "Realschule" war das Gebäude den Plauenern bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges ein Begriff. Nachdem es 1945 bei einem Bombenangriff schwer beschädigt worden war, wurde es aus drei Jahre später aus verkehrstechnischen Gründen gesprengt. Das geschah zweifellos etwas voreilig, denn das altehrwürdige Haus hätte erhalten werden können, so dass es nach gründlicher Restaurierung heute ein architektonisches Kleinod der Stadt Plauen sein könnte.