Die erste Oelsnitzer Bürgerschule von 1845

von Roland Schmidt

 
Wer heute in der Oelsnitzer Schulstraße ein Unterrichtsgebäude sucht, wird das vergebens tun. Doch der Straßenname hat seine Berechtigung, denn hier stand von 1845 bis 1889 die erste Oelsnitzer Bürgerschule. Für diese Lehranstalt war am 7. Mai 1844 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung der Grundstein gelegt worden, und am 19. November 1845 erfolgte ihre feierliche Weihe. In einem festlichen Zug verließen die Jungen und Mädchen ihre bisherigen Bildungsstätten und begaben sich zum neuen Schulgebäude. Dort übergab der Baumeister Liskowsky aus Voigtsberg, unter dessen Leitung das Haus für 7620 Taler errichtet worden war, den Schlüssel an Bürgermeister Merz, und nach der Weiherede von Superintendent Zapf nahmen die Kinder und ihre Lehrer von ihrer neuen Schule Besitz. Dieses Ereignis war ein markanter Punkt der Oelsnitzer Schulgeschichte, denn mit dem neuen Schulhaus eröffneten sich für die Schüler bedeutend bessere Bildungsmöglichkeiten, und die Stadtväter konnten ebenfalls aufatmen, da damit unter die bisherigen ungenügenden Unterrichtsbedingungen sowohl für die Jungen als auch die Mädchen ein Schlußstrich gezogen werden konnte. Der Weg dahin war kompliziert, und die Stadtväter hatten das Thema "Schulneubau" in den vorangegangenen Jahrzehnten wiederholt auf der Tagesordnung ihrer Beratungen stehen. Die alte Knabenschule, die 1722 am Raschauer Tor errichtet worden war, entsprach längst nicht mehr den Anforderungen. Ursprünglich stand in ihr für den Unterricht nur ein Raum von 20m Länge und 7m Breite zur Verfügung, und auch die spätere Unterteilung in drei Räume durch das Einziehen von Bretterwänden brachte keine Besserung. 1825 hatte die Kirchenbehörde als Schulaufsichtsamt Änderungen gefordert, doch der Rat der Stadt mußte wiederholt gemahnt werden, bevor er sich der Schule annahm. Das Ergebnis fiel aber nur halbherzig aus. Anstelle der Bretterwände wurden zwar Ziegelwände gemauert, und jedes Zimmer erhielt auch einen gesonderten Zugang, doch dem Mangel an Raum, Licht und reiner Luft konnte damit nicht abgeholfen werden. 1842 hatte ein Architekt den Vorschlag unterbreitet, das Oelsnitzer Rathaus um ein Stockwerk zu erhöhen, um in der neu gewonnenen Etage die Schule unterzubringen, doch verständlicherweise fiel er damit bei den Stadtvätern durch. Noch schlimmer war es um den Unterricht für die Mädchen bestellt. Hierin unterschied sich Oelsnitz in keiner Weise von anderen Städten, denn das weibliche Geschlecht war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in allen Bildungsfragen gegenüber den Männern stark benachteiligt. Bereits um 1550 hatte es in Oelsnitz eine "Maidleinschule" gegeben, und vor 200 Jahren befand sich der einzige Unterrichtsraum für die Mädchen in der Malzdarre. 1825 war vom Kirchenkonsitorium ebenfalls eine Erweiterung angemahnt worden, doch die Ausführung der nötigen An- und Umbauten ließ noch weitere 13 Jahre auf sich warten. Mit dem 1844 gefaßten Beschluß des Stadtrates, ein neues Schulgebäude zu errichten, wurde der Weg frei, alle diese Provisorien zu beseitigen. Die Stadt kaufte einen Bauplatz am Egerer Tor, und innerhalb eines anderthalben Jahres entstand nach Plänen des Plauener Architekten E.O.Roßbach ein zweistöckiges Gebäude im klassizistischen Stil, das sich auch mit seiner inneren Ausstattung sehen lassen konnte. Jedes Stockwerk enthielt fünf Unterrichtsräume, darüber hinaus bot die Schule auch dem Rektor, dem Kantor, dem Organisten, dem Baccalaureus (zweiter Lehrer) sowie dem Hilfslehrer mit ihren Familien Wohnraum. Doch bis auf den Kantor mußten sie in den folgenden Jahren nach und nach ausziehen, weil Raum für weitere Klassenzimmer geschaffen werden mußte. Insgesamt bot die Oelsnitzer Bürgerschule ihren Schülern gute Unterrichtsbedingungen. Dennoch war der 1845 geweihten Schule nur eine relativ kurze Existenz als Bildungsstätte vergönnt. Maßgebend dafür waren zum einen die rasch wachsenden Schülerjahrgänge, die bereits in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Trennung in eine 1. und 2. Bürgerschule erforderlich machten, zum anderen aber auch das sächsische Volksschulgesetz von 1873, das zur Abstufung in eine höhere und eine mittlere Volksschule führte. Schließlich erwies sich jedoch auch die Bausubstanz der Schule als hinfällig, so daß zwischen 1885 und 1887 eine neue, für 1500 Schüler gedachte Zentralschule errichtet wurde, die die beiden Volksschularten in sich aufnahm. Die erste Bügerschule von 1845 hatte ihre Funktion erfüllt. Sie wurde 1888 ihrer Bestimmung entzogen und ein Jahr später zugunsten des neuen Postamtes abgetragen.