Die Angerschule bleibt unvergessen

von Roland Schmidt

 
Für die meisten Plauener ist sie heute kein Begriff mehr, doch die älteren Leserinnen und Leser werden sich noch gut an die Angerschule in unmittelbarer Nähe des Stadtbades erinnern oder haben in ihr vielleicht selbst die Schulbank gedrückt. Die Bildungsstätte könnte in diesen Tagen auf eine 140-jährige Geschichte zurückblicken, hätte der Bombenhagel, der 1944/45 unsere Heimatstadt zerstörte, nicht auch diese traditionsreiche Schule in Schutt und Asche gelegt. Als „Angerschule“ wurde sie erst seit 1920 bezeichnet, als die Plauener Stadtverordneten allen Plauener Volksschulen einen Namen gaben, und gegründet wurde die Schule eigentlich ein paar Jahre vor ihrem Einzug in das neue Schulhaus an der Weißen Elster. 1841 hatte die Stadt Plauen an der Syrastraße unterhalb des Hradschin die „Allgemeine Bürgerschule“ eröffnet, die von allen Volksschülern besucht wurde. Doch sie war keineswegs für alle Kinder gleich, sondern je nach sozialem Stand bzw. Vermögen der Eltern hinsichtlich Lehrzielen, -fächern und Unterrichtsstunden in 3 Gruppen untergliedert, folglich auch in der Höhe des zu zahlenden Schulgeldes. Mit wachsender Schülerzahl formierte sich daraus in den 1860er Jahren eine höhere, mittlere und einfache Bürgerschule, die mit der organisatorischen Trennung auch nach räumlicher Eigenständigkeit drängten. Bereits 1861 bezog die mittlere (2.) Bürgerschule das neue Schulhaus an der Neundorfer Straße (heute Vogtland-Bibliothek), während sich die höhere (1.) und die einfache (3.) Bürgerschule vorerst noch weiter das Gebäude an der Syrastraße teilen mussten. Nachdem aber die 3. Bürgerschule 1870 mit Carl Friedrich Höckner einen eigenen Direktor bekommen hatte, folgten weitere Schritte auf einen Neubau, zumal die Zahl der Schüler aus den einfachen Schichten des Volkes stark anwuchs. Bereits 1872 hatte sich die Stadtverwaltung für den Bauplatz am Anger entschieden, und 1874 – noch vor der offiziellen Weihe – wurden der Platznot wegen in dem noch unfertigen Schulhaus die ersten Kinder unterrichtet. Gleichzeitig wurden die nahezu 2000 Mädchen und Jungen der 3. Bürgerschule entsprechend ihrer Wohnung auf die Schule am Anger und die im Bau befindliche weitere Bildungsstätte an der Ecke Trockentalstr./Straßberger Str. (die spätere Krauseschule) verteilt. Beide Schulen fungierten künftig als 1. und 2. Bezirksschule. Die 1. Bezirksschule wurde am 2. September 1875 offiziell eingeweiht. Das Datum war bewusst gewählt, denn die Erinnerung an den „Sedantag“ 1870, dem Tag des deutschen Sieges im Krieg gegen Frankreich, wurde damals und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu chauvinistischen Zielen missbraucht. Davon war auch die Festrede von Direktor Höckner nicht frei, bevor er die Stadt lobte, keine Kosten gescheut zu haben, den Kindern aus sozial schwachen Elternhäusern „das schönste, zweckmäßigste und gesündeste Schulgebäude“ zu schaffen. Davon konnten sich fortan knapp 1000 Mädchen und Jungen überzeugen, für die am nächsten Tag der Unterricht in hellen Klassenzimmern begann. Doch das schnelle Anwachsen der Einwohnerzahl in der Brückenvorstadt und die beginnende Bebauung der Ost- und später auch der Südvorstadt ließen bald alle Schulplanungen Makulatur werden. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts (1883/84 und 1906) musste die Schule zweimal erweitert werden, zunächst durch den Anbau eines Seitenflügels, dann durch das Aufsetzen eines kompletten dritten Stockwerkes. Doch auch inhaltlich machte die Schule von sich reden. So richtete Direktor Höckner 1877 erstmals in Plauen spezielle Klassen für lernschwache Kinder ein, um sie differenzierter unterrichten zu können. Daneben beherbergte sie auch die Fortbildungsschule für alle schulentlassenen Knaben von 14 – 17 Jahren, den Vorläufer der späteren Berufsschule, aus den Stadtgebieten rechts von Elster und Syra. Außerdem wurde der 1. Bezirksschule der erste nach Fröbels Konzept arbeitende „Volks- kindergarten angegliedert. 1896 erhielt die Schule im Zuge einer Neustrukturierung der städtischen Volksschulen die amtliche Bezeichnung „3. Bürgerschule“. Schließlich wurde das gute Unterrichtsniveau gewürdigt, das von Anfang an die Arbeit des Kollegiums auszeichnete, indem die Schule in den Jahren von 1898 bis 1903 schrittweise von einer einfachen zur mittleren Volksschule ausgebaut wurde. Zu diesem höheren Status gehörte auch – wenn auch nur für Knaben – der fakultativ angebotene Englischunterricht. Nach dem Ersten Weltkrieg entfiel in ganz Sachsen die bisherige Dreiteilung der Volksschule. Die nunmehrige Angerschule wurde zur allgemeinen Volksschule, die auf Grund ihrer guten Unterrichtsarbeit auch zahlreiche Leistungskurse für begabte Schüler anbot. Ab 1933 bestimmte dann die nationalsozialistische Ideologie wie überall auch den Alltag der Angerschule. Die „völkische Erziehung“, die Erziehung zur „Volksgemeinschaft“ und zum „vollen Einsatz für Führer und Nation“ rückten in den Mittelpunkt, wogegen das systematische Lernen zurücktrat. So erklärte Rektor Neidhardt 1938, „Hauptziel der Angerschule sei es, eine Stätte der Willenserziehung für den Kampf des Lebens zu sein, die Schüler deutsch denken, fühlen und handeln zu lehren.“ Wohin diese Erziehung führte, ist bekannt. Sie trug wesentlich zu Hitlers Kriegsplänen bei, die Millionen Menschen, darunter auch Schülern und Lehrern der Angerschule, den Tod brachten. Doch der Krieg machte auch vor dem Gebäude der Angerschule nicht Halt. Ab Herbst 1944 zwangen Bombenalarm und -angriffe zu häufigen Unterrichtsunterbrechungen, außerdem diente das Schulhaus wiederholt als Ersatz für bereits kriegsgeschädigte andere Schulen der Stadt und auch als Notunterkunft für ausgebombte Plauener Familien und Flüchtlinge aus Ostpreußen. Schließlich wurde das Gebäude der Angerschule bei einem Luftangriff am 23. Februar 1945 schwer zerstört und später nicht wieder aufgebaut. So blieben für uns nur noch Fotos der Erinnerung an eine der schönsten Schulen Plauens.