Der Plauener Lehrer und Schuldirektor Karl Friedrich Höckner

von Roland Schmidt

 
Der Höcknerplatz in der Plauener Südvorstadt gehört gewiss nicht zu den bekanntesten Punkten der Stadt, und die Zahl derjenigen Bürger, die sich noch an die Höcknerschule erinnnern können, wird auch immer kleiner. Dieses Schulgebäude stand im Straßenviertel Hegel-/Heynig-/Kantstraße und diente als katholische Volksschule, bevor es am 19. März 1945 beim siebenten Bombenangriff auf Plauen ausbrannte und die Ruinen in den fünfziger Jahren abgetragen wurden. Die Erinnerungen an Karl Friedrich Höckner sind somit im Schwinden begriffen. Das ist bedauerlich, denn hinter seinem Namen verbirgt sich nicht nur einer der verdienstvollsten Lehrer Plauens im 19. Jahrhundert, sondern auch ein echter Sachwalter der Armen. Karl Friedrich Höckner wurde am 18. April 1821 in Plauen als Sohn eines Webermeisters geboren. Er erhielt seinen ersten Unterricht an einer Torschule, der für Plauen typischen Elementarschule für die Kinder des einfachen Volkes. Schon bald wechselte er aber in die Stadtschule am Schulberg, wo er in den Magistern Wagner und Kolbe und in Kantor Fincke verständnisvolle Förderer seiner Anlagen fand. Sehr schnell reifte in dem Knaben der Wunsch, selbst einmal als Lehrer zu wirken. Bereits als 13jähriger Junge erteilte er schwächeren Mitschülern Nachhilfeunterricht, und nach einem kurzzeitigen Besuch der unteren Klassen des Gymnasiums trat er 1837 in das Plauener Lehrerseminar ein. In der von Johann Gottfried Wild (1802 – 1878) geleiteten Einrichtung erwarb Karl Friedrich Höckner eine für die damaligen Verhältnisse gediegene pädagogische Ausbildung, die er an der Seminar-Übungsschule durch praktische Erfahrungen vertiefen konnte. 1842 wurde Höckner als Hilfslehrer an der allgemeinen Bürgerschule an der Syrastraße angestellt. Die Bezeichnung „Hilfslehrer“ war die übliche Bezeichnung für alle Berufsanfänger im Schulbetrieb, auch die Besoldung mit 150 Talern im Jahr entsprach den damals gängigen Normen. Ungewöhnlich war jedoch die Tatsache, dass Karl Friedrich Höckner acht Jahre lang auf dieser mäßig dotierten Stelle verblieb, obwohl er inzwischen die Wahlfähigkeitsprüfung - eine Art „zweite Lehrerprüfung“ – absolviert und damit die Berechtigung erworben hatte, eine ständige und damit besser bezahlte Lehrerstelle einzunehmen. Doch dieser Fakt brachte ein ganzes Stück von Höckners Lebenshaltung zum Ausdruck. Es ging ihm um die Arbeit mit den Kindern, um seine eigene pädagogische Vervollkommnung, hinter der materielle Beweggründe und auch Verlockungen auf besser bezahlte Anstellungen zurücktreten mussten. Und in der Tat entwickelte sich Höckner an der allgemeinen Bürgerschule zu einem allseits anerkannten, schöpferisch arbeitenden Pädagogen, wobei er in Direktor Adolph Gustav Caspari (1805 – 1874) einen verständnisvollen Mentor gefunden hatte. Auch von anderen Kollegen konnte er manche wertvolle Erfahrung übernehmen, und von 1853 bis 1857 arbeitete er mit dem jungen Friedrich Dittes – später einer der bekanntesten deutschen Pädagogen – an der Plauener Bürgerschule zusammen. Seit 1855 – inzwischen zum ständigen Lehrer befördert – unterrichtete Karl Friedrich Höckner nebenamtlich an der Plauener Sonntagsschule und an der Baugewerkeschule. Dabei erwarb er Erfahrungen im pädagogischen Umgang mit einem anderen Schülerklientel. Seine hohe Berufsauffassung, seine umfangreichen Kenntnisse und sein großes pädagogisches Geschick im Umgang mit Volksschülern und jungen Erwachsenen empfahlen ihn für höhere Aufgaben im Plauener Schulwesen. Diese erhielt er 1870, als er zum Direktor der 3. Bürgerschule berufen wurde. Schon zehn Jahre vorher hatte im Plauener Volksschulwesen ein Differenzierungsprozess eingesetzt, indem sich eine Aufspaltung in eine höhere, mittlere und einfache Volksschule vollzog, die sich im Bildungsangebot, aber auch im zu zahlenden Schulgeld unterschieden. Die Aufgabe der mittleren Volksschule übernahm das 1861 geweihte Schulhaus in der Neundorfer Straße (das heutige Domizil der Vogtland-Bibliothek), während die höhere und einfache Volksschule im Gebäude an der Syrastraße verblieben und in Adolph Gustav Caspari einen gemeinsamen Direktor hatten. Erst 1870 wurde Casparis Doppelfunktion beendet, und Karl Friedrich Höckner übernahm als Direktor die einfache Volksschule, die als 3. Bürgerschule geführt wurde. Sie besaß zunächst kein eigenes Schulhaus und war deshalb weiter mit der 1. (höheren) Bürgerschule im Gebäude an der Syrastraße untergebracht. Erst 1875 bezog sie die neu erbaute Schule am rechten Elsterufer, die spätere Angerschule. Die Leitung der einfachen Volksschule – ihre amtliche Bezeichnung lautete seit 1873 „Bezirksschule“ – war nicht leicht, denn die Mehrzahl der Schüler entstammte einfachen sozialen Verhältnissen. In vielen Elternhäusern stand notgedrungen der Kampf um das tägliche Brot im Vordergrund, und er überlagerte bei weitem die schulischen Belange der Kinder. Höckner sah diese Wirklichkeit, und er versuchte gemeinsam mit seinen Lehrern, diesen Problemen einerseits mit Verständnis, andererseits aber auch mit pädagogischer Konsequenz zu begegnen. Dabei scheute er keineswegs, auch von den städtischen Behörden höhere Aufwendungen für die Schulbildung der sozial Schwachen zu fordern. So konnte er gleich bei seinem Amtsantritt 1870 die ursprünglich vierstufig gegliederte Schule zu einer sechsstufigen Einrichtung aufstocken, was weitere Planstellen für Lehrer notwendig machte. Mit dem Umzug an den Anger wurde die Schule sogar siebenstufig (mit zweijährigem Kurs in der 1. Klasse). Dennoch mussten die Erfolge bescheiden bleiben, denn 60 Schüler pro Klasse setzten der Arbeit der Lehrer eindeutige Grenzen. Viele Kinder konnten dem Unterricht nicht mehr folgen, und ihrer nahm sich Direktor Höckner in besonderem Maße an, indem er – erstmals für Plauen – sogenannte „Nachhilfeklassen“ schuf. In ihr wurden alle Kinder zusammengefasst, die besonderer Förderung bedurften, um in die nächst höhere Klasse versetzt zu werden. Doch nicht nur leistungsschwache Schüler saßen in diesen Nachhilfeklassen, auch blinde und taubstumme Kinder waren hier zu finden. Zwar gab es in Dresden und Leipzig schon entsprechende Sonderschuleinrichtungen, doch sie waren für bedürftige Kinder aus dem Vogtland, noch dazu aus sozial schwachen Familien, unerreichbar. Vielfach blieben solche Kinder im 19. Jahrhundert von jeglicher Beschulung ausgeschlossen. Dagegen bemühten sich Karl Friedrich Höckner und seine Lehrer, sie weitgehend zu integrieren. Die Kinder erfuhren dabei Liebe und Zuwendung, die sie außerhalb der Schule oft vermissen mussten. Freilich waren der Arbeit in den Nachhilfeklassen auch Grenzen gesetzt. Sie konnte oftmals nur in den Klassenstufen VI und V erfolgen, obwohl sie in allen Altersstufen notwendig gewesen wäre. Das wurde in Plauen erst Ende des 19. Jahrhunderts unter der Leitung von Johannes Delitsch verwirklicht. Die von Karl Höckner und seinen Lehrern Jahre vorher gemachten Erfahrungen waren dafür unentbehrlich. Mit gleichem Engagement setzte sich Höckner für die Fortbildungsschule ein. Das „Gesetz, das Volksschulwesen betreffend“ vom 26. April 1873 hatte diese Keimform der heutigen Berufsschule für Knaben obligatorisch und für Mädchen fakultativ erklärt und ihre Angliederung an die bestehenden Volksschulen verfügt. So trug Höckner seit 1876 neben der Verantwortung für etwa 1500 Volksschüler auch die für etwa 500 Jungen und Mädchen, die zweimal wöchentlich nach 8- bis zehnstündiger Arbeit bei einem Handwerksmeister oder in einer Fabrik von den Volksschullehrern in Deutsch und Rechnen, aber auch in speziellen Themen ihres Berufes unterrichtet wurden. Höckner wusste, dass dieser Fortbildungsunterricht den Jugendlichen wesentlich half, eine feste Position im Leben zu erwerben. Das galt vor allem für die von jeher in Bildungsfragen benachteiligten Mädchen. Folglich setzte er sich für ihren Unterricht im besonderen Maße ein. Auch außerhalb der Schule galt Höckners Wirken vor allem den sozial Schwachen, sei es als Leiter des Kirchenvorstandes, als Friedensrichter, als Stadtverordneter oder als Mitglied des Schul- und des Armenausschusses der Stadt. Als „Meister vom Stuhl“ in der Plauener Freimaurerloge war er der Wohltätigkeit genauso verpflichtet wie im Verein zur Unterstützung armer Kinder sowie der Witwen- und Waisenkasse der Plauener Lehrer, denen er jahrelang vorstand. Als Karl Friedrich Höckner am 13. März 1887 nach kurzer Krankheit starb, wurde sein Tod von vielen einfachen Menschen betrauert, weil sie einen ihrer Fürsprecher verloren hatten. Der zeitgenössische Pressebericht über sein Begräbnis übertrieb deshalb keineswegs, wenn es hieß: „Ein großer Zug Leidtragender, wie man solchen in Plauen noch nie gesehen, gab dem Verstorbenen das Geleite.“