Der Mädchenlehrer Tanzer

von Roland Schmidt

 
Unter den zahlreichen Lehrern, die die Oelsnitzer Schulgeschichte mitgestaltet haben, gebührt dem "Mädchenlehrer Tanzer" zweifellos ein besonderer Platz. Zum einen, weil er in der Vogtlandstadt 35 Jahre treu und redlich seinen Pflichten nachgekommen ist, zum anderen aber auch, weil er in dieser Zeit stets sein eigenes Profil entwickelte und es auch mit wechselndem Erfolg gegen die Ansichten seiner Kollegen durchsetzte. Johann Traugott Tanzer wurde 1762 in Oelsnitz geboren. Als Neunzehnjähriger trat er seine erste Stelle als Lehrer in Taltitz an, und vier Jahre später ließ er sich nach Marieney versetzen. Als 1799 die Stelle des Oelsnitzer Mädchenlehrers frei wurde, bewarb sich Tanzer um sie und erhielt auch den Zuschlag. Fortan war er für den Unterricht von etwa 300 Mädchen zuständig, und das dreeinhalb Jahrzehnte lang. Doch damit war Tanzers Aufgabengebiet noch nicht erschöpft, denn er war gleichzeitig als Organist angestellt und somit für die Kirchenmusik verantwortlich. Darüber hinaus hatte ihm die Oelsnitzer Stadtväter die Erlaubnis erteilt, als "deutscher Schullehrer" zu wirken, d.h. er durfte außerhalb seiner dienstlichen Verpflichtungen Jungen und Mädchen gegen eine Gebühr im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichten. Johann Traugott Tanzer kam diesen Pflichten mit aller Sorgfalt nach, wobei er nicht selten auch noch Schulgehilfen an seiner Seite hatte, die ihn jedoch nicht nur entlasteten, sondern zugleich auch forderten, denn schließlich war er ihr Mentor auf dem Weg zur selbständigen Lehrtätigkeit. Der sächsische Staat honorierte Tanzers Tätigkeit, indem er ihm im Oktober 1831 anläßlich seines 50jährigen Dienstjubiläums die Silberne Zivildienstmedaille verlieh. Diese Ehrung für "treubewährten Pflichteifer" bedeutete jedoch keineswegs, daß sich Tanzer in allen seinen Amtsjahren als angepaßter Diener der Stadt verhalten hätte. Vielmehr bezog er oftmals bewußt Position und hielt mit seiner Meinung nicht hinter den Berg. Das war so in den Jahren 1806/07, als er gegen die Stadt Oelsnitz die ihm ausstehenden Gehaltszahlungen geltend machte, und das war drei Jahre später so, als er im Unterricht offen gegen die napoleonische Fremdherrschaft Stellung nahm. Den Oelsnitzer Stadtvätern war das Anlaß genug, Tanzer zu warnen und ihn aufzufordern, im Unterricht keine politischen Fragen zu behandeln. Vielmehr sollte er den Mädchen "lieber die Lehre (beibringen), dem, der Gewalt über uns hat, zu gehorchen (und) sich in die Nothwendigkeit, sei sie auch noch so unangenehm, zu fügen." Doch auch im Umgang mit seinen Kollegen litt Tanzer nicht an Herzdrücken. Vor allem mit Kantor Johann Gottlob Schuster (1765 -1839) lag er wiederholt im Streit. Zum einen gingen die Auseinandersetzungen um die Kirchenmusik Die Orgel der Stadtkirche St. Jacob soll höher gestimmt gewesen sein als der Kammerton der anderen Musikinstrumente, so daß Kantor Schuster und Organist Tanzer oft genug aneinander gerieten, ja eine zeitlang mußte deshalb die Kirchen musik ganz ausfallen. Zum anderen trat Tanzer gegen die von Kantor Schuster organisierten Konvivientänze auf. Das waren dreitägige Feiern, auf denen nicht nur reichlich gegessen, getrunken und getanzt, sondern auch über die Stränge der damaligen Sittlichkeit geschlagen wurde. Tanzer hatte dabei allen Grund, um die Ergebnisse seiner Erziehung als Mädchenlehrer zu fürchten, und er war daher erbitterter Gegner dieses alten Brauches. Zweifellos hatte er wesentlichen Anteil daran, daß die Konvivientänze in Oelsnitz 1831 letztmalig durchgeführt wurden. Schließlich verdarb sich Johann Traugott Tanzer auch bei seinen anderen Kollegen alle Sympathien, als er in seine Mädchenschule auch Jungen aufnahm. Was für ihn eine größere Einnahme an Schulgeld bedeutete, war für die Lehrer an der Knabenschule eine arge Einbuße. Die Knabenlehrer beschwerten sich bei der Kirchenbehörde als dem zuständigen Schulaufsichtsamt und hatten damit Erfolg, denn Tanzer wurde bei 5 Talern Strafe verboten, weiterhin auch Knaben in der Mädchenschule zu unterrichten. Doch über alle diese Streitereien und Zerwürfnisse hinweg leistete Johann Traugott Tanzer eine aufopferungsvolle Tätigkeit bei seinen Schülerinnen. Unter oftmals schwierigen Arbeitsbedingungen unterrichtete er bis 1834 in Oelsnitz, um dann nach 53 Dienstjahren in den verdienten Ruhestand zu treten. Die ehrenvolle Bezeichnung "der Mächenlehrer Tanzer" waren ihm dafür der schönste Lohn.