21. 10. 2014: Die Plauener Karlschule wäre heute 125 Jahre alt geworden

von Roland Schmidt

 
Es ist gute Sitte, diverse Schuljubiläen mit Festakten und Schülerfeiern zu begehen. Doch es sollten auch jene Schulen nicht vergessen werden, deren „Geburtstage“ nicht mehr gefeiert werden können, weil es sie nicht mehr gibt. Eine solche Bildungsstätte ist die Plauener Karlschule, die in der Bärenstraße ihr Domizil hatte. Sie wurde vor 125 Jahren, am 21. Oktober 1889, feierlich geweiht und spielte fortan in der Plauener Schullandschaft eine große Rolle, bevor sie 1945 unter dem Bombenhagel auf unsere Heimatstadt in Schutt und Asche versank. Zur Zeit ihrer Eröffnung firmierte die Einrichtung als „Höhere Bürgerschule“ der Stadt, die sich durch Bildungsinhalt, Stundenzahl und Lernbedingungen, aber freilich auch durch das zu zahlende Schulgeld wesentlich von den mittleren und einfachen Volksschulen abhob. Diese Schule war seit 1874 im Schulhaus an der Syrastraße beheimatet, doch das seit 1841 bestehende Gebäude konnte die ständig wachsende Schülerzahl nicht mehr aufnehmen. Bereits Anfang der 1880er Jahre mussten deshalb einige Klassen in benachbarte Schulen oder andere geeignete Häuser ausquartiert werden. Wiederholt richtete Schuldirektor Dr. Otto Böhme Petitionen an den Stadtrat, diesem Notstand abzuhelfen. Die Idee, das Schulhaus um eine Etage aufzustocken, musste aus statischen Gründen verworfen werden, und für einen Neubau scheute die Stadt lange Zeit die hohen Baukosten. Doch im Frühjahr 1886 gab es plötzlich eine neue Situation, die die Stadt zum Handeln zwang. Das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts hatte beschlossen, das seit 1884 in Plauen bestehende Realgymnasium wegen zu geringer Schülerzahl wieder in eine sechsjährige Realschule zurückzubauen. Sie sollte räumlich aus dem seit 1854 bestehenden Verbund mit dem Gymnasium gelöst werden und ab Ostern 1890 ein eigenes Schulgebäude beziehen. Da die sächsischen Realschulen traditionell städtische Einrichtungen waren, stand die Stadt Plauen plötzlich vor der Aufgabe, auf eigene Rechnung nicht nur die Bildungsstätte zu finanzieren, sondern auch eine neue Schule zu bauen. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch, und so wurde der Plan geboren, die beiden Projekte „neue Realschule“ und „neue höhere Bürgerschule“ zu koppeln. Die Realschule sollte 1890 in die bisherige Heimstätte der Höheren Bürgerschule in der Syrastraße einziehen, und um bis dahin noch die nötigen Renovierungsarbeiten erledigen zu können, musste bis zum Herbst 1889 eine größere Höhere Bürgerschule schlüsselfertig sein. Die Zeit drängte, doch die Suche nach einem geeigneten Standort für den Neubau dauerte weit länger als gedacht. Unter mehreren Objekten galt noch zu Beginn des Jahres 1888 der Lutherplatz, der erst 1866 aufgegebene Friedhof der Stadt, unter den Stadtverordneten als erste Wahl. Erst der Einwand des Kirchenvorstandes, die geplante neue Schule würde die Lutherkirche „erdrücken“ bewirkte ein Umdenken. Nun kam die Alternative „Grohscher Platz“, an der Bären-/Ecke Karlstraße gelegen, ins Blickfeld. Einige Abgeordnete erhoben zwar Bedenken, dieser liege an der Peripherie der Stadt. Doch der Verweis auf das damals rasant wachsende Bahnhofsviertel ließ sie verstummen. Durch den Zukauf eines benachbarten Grundstückes wurde die gewünschte Baufläche gesichert, und das Stadtparlament gab grünes Licht für weitere Planungen. In relativ kurzer Zeit entwarf das Stadtbauamt die nötigen Bauzeichnungen für ein in gelben Ziegeln zu errichtendes 4-stöckiges Schulhaus, und am 9. Juli 1888 bewilligten die Stadtverordneten knapp 450 000 Mark für seine Realisierung. Zwei Monate später legte Oberbürgermeister Oskar Theodor Kuntze (1827 – 1911) den Grundstein, und in der Rekordzeit von nur 13 Monaten wurde die Schule fertiggestellt. Voller Stolz konnte Schuldirektor Dr. Karl Lange am 21. Oktober 1889 die Schlüssel in Empfang nehmen, wobei er sich besonders freute, dass das Haus als erste Plauener Schule auch einen großzügigen Schulhof erhalten hatte. Rund 1000 Schülerinnen und Schüler aus dem gesamten Stadtgebiet, aber auch Auswärtige, nahmen am nächsten Tag den Unterricht in der Höheren Bürgerschule auf. Sie war für beide Geschlechter achtstufig konzipiert, allerdings konnten Mädchen – gewissermaßen als Trostpflaster für fehlende andere Bildungsmöglichkeiten – fakultativ noch ein neuntes und zehntes Schuljahr anschließen. Die Schule wurde gut besucht, und das schnelle Wachstum der Stadt ließ sie bald aus allen Nähten platzen. Obwohl nur für 1000 ausgelegt, war sie 1905 mit 1550 deutlich überbelegt. Die Stadt benötigte eine zweite höhere Bürgerschule, doch erst 1911 wurde dafür das Gebäude des heutigen Diesterweg-Gymnasiums geweiht. 1919 wurde in Sachsen die Dreigliedrigkeit der Volksschulen beseitigt, so dass auch die I. Höhere Bürgerschule zu einer mittleren Volksschule mit einem fest umrissenen Schulbezirk umgestaltet wurde. 1920 erhielt sie in Anlehnung an die alte Grundstücksbezeichnung „Carlsruhe“ den Namen Karlschule, bevor sie im November 1935 von den Nationalsozialisten nach dem tödlich verunglückten „Führer“ des NS-Lehrerbundes Hans Schemm (1891 – 1935) umbenannt wurde. Bei der Eröffnungsfeier 1889 hatte Archidiakonus Kesselring in seinem Weihegebet gewünscht, dass die Schule „auf Jahrzehnte und Jahrhunderte“ eine Stätte des Lernens sein möge – doch schon 56 Jahre später blieb von ihr nur noch ein Trümmerberg übrig.