1. Oktober 2011: Vor 150 Jahren wurde die Zweite Plauener Bürgerschule geweiht

von Roland Schmidt

 
Die Adresse „Neundorfer Str. 8“ ist vielen Plauenern wohlbekannt. Sie kommen mehr oder weniger regelmäßig in die Vogtlandbibliothek, leihen sich Bücher, Zeitschriften und Tonträger aus oder nutzen die gewünschten Medien gleich vor Ort. Nur wenige der ältesten Leser werden sich an die Zeit erinnern, als die heutige Bibliothek eine Bildungsstätte der anderen Art war: die Lutherschule. Geweiht wurde sie vor 150 Jahren, am 1. Oktober 1861, als Außenstelle der Plauener Bürgerschule in der Syrastraße. Diese war zwei Jahrzehnte vorher eröffnet worden. Eigentlich hatten die Stadtväter geglaubt, diese für 2000 Kinder berechnete Bildungsstätte unterhalb des Hradschins würde mehrere Generationen hindurch genügend Unterrichtsplätze schaffen, doch schon 1854 war das Schulhaus an der Syrastraße so stark belegt, dass etwa 500 Schüler in das Gebäude am Schulberg ausquartiert werden mussten. Da die Einwohnerzahl der Stadt weiter anstieg, war der Bau einer zweiten Bürgerschule unausweichlich. Er wurde 1860 beschlossen und innerhalb kurzer Zeit „in der schönsten Lage der Stadt“, wie damals der „Vogtländische Anzeiger“ schrieb, realisiert. Am Nachmittag des 1. Oktober 1861 zogen die Schüler der mittleren Abteilung der Bürgerschule mit ihren Lehrern feierlich von der Syrastraße über die Schulstraße, Oberer Steinweg und Altmarkt zur Neundorfer Straße, wo sie von den Honoratioren der Stadt und vielen Bürgern zum Weiheakt des neuen Schulhauses erwartet wurden. Archidiakon Magister Hermann Fiedler hielt die Weiherede und übergab die Schlüssel an den Direktor der Plauener Bürgerschule, Adolph Gustav Caspari. Diese Personalie mag verwundern, doch dieser Fakt entsprach der damaligen Struktur des Plauener Volksschulwesens. Es gab bis 1864 nur eine Bürgerschule mit Direktor Caspari, die sich in eine höhere, mittlere und einfache Abteilung gliederte. Waren bis dahin alle drei Abteilungen im Gebäude an der Syrastraße untergebracht, zog jetzt die mittlere Abteilung in die Neundorfer Straße, ohne den Status einer eigenständigen Schule zu erlangen. Den erhielt sie erst 1864, so dass auch erst seit dieser Zeit die Schule offiziell als Zweite Bürgerschule bezeichnet wurde und Gottlob Eduard Wigand als Direktor fungierte. Er führte erstmals in Plauen verbindliche Lehrpläne und monatliche Lehrerkonferenzen ein. Die wachsende Schülerzahl erforderte bereits 1864/65 einen Anbau, und 1877 erhielt die Schule auch eine Turnhalle. 1885 zählte die Schule 1582 Schüler. Darüber hinaus beherbergte das Schulhaus eine Abendnähschule, und seit 1896 diente sie auch als Heimstätte der obligatorischen Fortbildungsschule, die Plauen als einzige sächsische Kommune für alle 14-16-jährigen Mädchen eingeführt hatte. Nach der um 1890 erfolgten Neustrukturierung des Plauener Schulwesens wurde das Schulhaus an der Neundorfer Straße fortan als 1. Bürgerschule bezeichnet, die weiterhin als mittlere Volksschule galt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts nahm ihre Schülerzahl kontinuierlich ab, da in der Stadt weitere mittlere Volksschulen ihre Arbeit aufnahmen. So gab es im Schulhaus an der Neundorfer Straße zum 50-jährigen Jubiläum (1911) nur noch 728 Schüler in 20 Klassen, die von 16 Lehrern unterrichtet wurden. Als 1920 alle Plauener Volksschulen einen Namen erhielten, fungierte die nahegelegene Lutherkirche als Namensgeber. Obwohl die Lutherschule in den zwanziger Jahren im Plauener Volksschulwesen einen geachteten Platz einnahm, waren ihre Tage gezählt. Der zunehmende Auto- und Straßenbahnverkehr auf der Neundorfer Straße einerseits und die veralteten Räumlichkeiten sowie der viel zu kleine Schulhof andererseits zwangen Ostern 1934 ihre Schließung. Nach zwischenzeitlicher Nutzung als Verwaltungsgebäude wurde das Haus 1956 wieder zur Bildungsstätte. Die Plauener Stadtbibliothek zog ein und breitete sich in der Folgezeit immer weiter aus. 1993 wurde sie zur Vogtlandbibliothek, die vor allem seit der grundlegenden Sanierung in den Jahren 1992 – 1997 ein architektonisches Kleinod geworden ist, deren Bestände von allen vogtländischen Bücherfreunden geschätzt werden.