Zur Tradition des Gregoriusfestes in Plauen

von Roland Schmidt

 
Wenn wir uns die Schule in früheren Zeiten vorstellen, sind wir oft geneigt, den Alltag der Schüler vorschnell als trist und stets vom Prügelstock des Lehrers bedroht, abzutun. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Gewiss war der Unterrichtsbetrieb vor 200 oder 300 Jahren von Paukmethoden gekennzeichnet und zweifellos herrschte in den Schulen eine strenge Zucht, doch natürlich gab es daneben auch Freude, viel Witz, Ulk und Ausgelassenheit bei den Schülern.Vor allem die Schulfeste brachten diese Abwechslung, und unter ihnen war das jährlich im Frühjahr begangene Gregoriusfest besonders beliebt. Seine Ursprünge reichen weit ins Mittelalter zurück und hatten zunächst einen mehr kirchlichen Charakter, denn es war Papst Gregor dem Großen gewidmet, der von 590 bis 604 den Heiligen Stuhl innehatte.Der Überlieferung nach wählten aus Anlass dieses Festes die Schüler unter sich einen „Bischof", den sie in feierlichem Zug zum Gottesdienst geleiteten. Die Schüler waren als Apostel, Engel, Handwerker oder Narren verkleidet. Der Pfarrer hielt eine Predigt mit einem schulbezogenen Inhalt, darauf folgte eine kurze, meist in Versen gefaßte Erwiderung des „Bischofs". Danach zogen die Schüler in die Schule zurück, wo sie mit Brezeln bewirtet wurden.Im Laufe der Jahrhunderte verlor das Gregoriusfest immer mehr seinen religiösen Charakter und wandelte sich zu einem Schul- und Volksfest in den Städten. Die Erinnerung an Papst Gregor den Großen trat in den Hintergrund, so dass das Fest trotz der Reformation bis ins 19. Jahrhundert hineinauch in protestantischen Gebieten – jedoch in der Regel auf die höheren Schulen beschränkt – gefeiert wurde. Die dabei geltenden Sitten und Bräuche waren nicht nur von Gegend zu Gegend verschieden, sondern meist schon von Ort zu Ort, allen gemeinsam war jedoch eine Ausgelassenheit der Schüler, die einem karnevalistischen Treiben ähnlich war. Standen Posse und Spaß im Mittelpunkt des Geschehens, so darf der Nebeneffekt, die Einnahme einiger Taler zu Händen des Rektors, nicht vergessen werden. Wenn auch die genauen Anfänge des Gregoriusfesten in Plauen im Dunklen liegen, so ist seine Existenz für die erste Hälfte des 17. und das gesamte 18. Jahrhundert belegt. Alljährlich nach Ostern – die ältesten Schüler hatten gerade ihre Examen abgelegt, die jüngeren waren in die nächste Klasse versetzt worden – war dafür eine günstige Zeit.An zwei Tagen zogen die Schüler in lustigen Kostümen durch die Stadt, wobei Verkleidungen als Pickelheringe (eine Art Narren in englischen Komödiantengruppen), als Essenkehrer oder Moosmänner besonders beliebt waren. Gepaart war das mit einem Schülerumsingen, ähnlich dem Currendesingen, das der Kantor eigens einstudiert hatte, sowie mit dem Schmücken des Gregoriusbaumes (in der Regel Schleedorn) mit Brezeln, Pfefferkuchen, Marzipan, aber auch mit Pflanzen wie Kalmus, Johannisbrot und Süßholz.Allerdings war das nur der äußere Rahmen, denn für die konkrete Abfolge des Gregoriusfestes gab es ein mehr oder weniger fest vorgeschriebenes Programm. So wurden bereits in den Tagen vor dem Fest die Lieder einstudiert, gleichsam wurden die Schüler darauf hingewiesen, dass das Verkleiden als Essenkehrer oder Moosmann allein das Vorrecht der Primaner sei, und die Schüler der untersten Klassen nur gemeinsam durch die Stadt ziehen durften. Gleichzeitig wurden die Schüler nochmals ermahnt, alles zu unterlassen, was unanständig und beleidigend ist.Der eigentliche Gregoriustag begann dann bereits frühmorgens drei Uhr mit dem Trommeln. Nach den Frühmetten wurde der Gregoriusbaum geschmückt und ab neun Uhr zogen die unteren Klassen durch die Stadt, wobei sie bei jedem angesehenen Haus stehenblieben und sangen. Eine Stunde später folgten ihnen die oberen Klassen. Aus ihren Reihen waren die neun Musen bestimmt worden, die für die Musik zuständig waren, gleichzeitig auch Adam und Eva, die jedoch nur schlichte Bauerntracht tragen durften. Gemeinsam mit dem Rektor trugen die Schüler den Gregoriusbaum vom Schulhaus in die Superintendentur. Danach folgte der Zug durch die Stadt nach einem festen Plan, und auch die Häuser, vor denen musiziert wurde, waren genauestens ausgesucht, denn schließlich erhofften sich ja die Schüler ein ansehnliches Salär. Die Häuser der Geistlichkeit, der Ratsmitglieder, des Stadtkommandanten, des Amtmannes sowie reicher Kaufleute waren bevorzugte Adressen. Dieses mehr oder weniger organisierte Treiben dauerte bis spät abends und wurde mit einem Trommeln abgeschlossen.Völlig ausgelassen verlief dann der zweite Tag, wo den Schülern das Singen von Gassenhauern sowie Verkleidungen aller Art gestattet waren. Nicht selten kam es auch zu derben Späßen und Neckereien. Da gebrauchten die Essenkehrer ihre Peitschen, Teufel vesetzten ehrsame Bürger in Schrecken und Händler verkauften Würste, die mit Sägespänen gefüllt waren und die Käufer dem Spott der Menge preisgaben.Es verwundert nicht, dass die Ausgelassenheit der Schüler nicht selten die gebotenen Grenzen überschritt, so dass das Gregoriusfest oft Anlass von Sorge und Furcht war und deshalb auch manchen Streit zwischen dem Rathaus und der Schulleitung hervorrief. Fast jedes jahr aufs Neue beschworen die Stadtväter den Rektor der Schule, dafür Sorge zu tragen, dass das Treiben der Schüler im Rahmen bleibe, und mit gleicher Regelmäßigkeit versprach das der Rektor, ohne dafür einstehen zu können, zumal er ja von den Einnahmen maßgeblich profitierte. Für 1785 und 1786 hatte der Rat der Stadt gravierende Einschränkungen für das Fest verfügt, und wenige Jahre später häuften sich die Stimmen derer, die seine völlige Abschaffung forderten, da es der Lehrer unwürdig und die Sittlichkeit der Schüler gefährend sei. Dem standen aber die Meinungen der Bürger gegenüber, die sich an den Umzügen und Späßen der Schüler amüsierten. Auch die Lehrer traten für die Beibehaltung ein, denn die gesammelten Gelder waren eine willkommene Beigabe zu ihren kargen Gehältern.wurden, ließ die Schulleitung den Wegfall des Gregoriusfestes recht schnell verschmerzen, während die Schüler das So wurde das Gregoriusfest in der genannten Form in Plauen bis zum Jahre 1814 gefeiert, und erst ein königliches Verbot machte dem derben und ausgelassenen Treiben der Schüler ein Ende. Die gleichzeig verfügte Einführung einer jährlichen festen Vergütung von 80 Talern für den Rektor, die aus einer Kommunalumlage aufgebracht sicher ganz anders beurteilt haben.