Zum 100. Geburtstag der Plauener Friedensschule - Folge 2

von Roland Schmidt

 
2. Folge: Der erste Anlauf zum Realgymnasium Anfang der siebziger Jahre setzten im sächsischen Realschulwesen bedeutende Veränderungen ein. Am 6. Dezember 1870, sechs Wochen vor der offiziellen Gründung des Deutschen Reiches, erließ das sächsische Kultusministerium eine Verordnung, wonach die Realschulen fortan nach preußischem Vorbild in Einrichtungen I. und II. Ordnung unterschieden wurden. Während die Schulen II. Ordnung – zu ihnen zählte auch die Reichenbacher Bildungsstätte – an ihrem sechsjährigen Lehrgang festhalten sollten, wurden die Schulen I. Ordnung für den schrittweisen Ausbau zu neunstufigen Anstalten vorgesehen. Zu diesem Realschultyp zählte auch die Plauener Einrichtung, die weiterhin fest mit dem Gymnasium verbunden war. Bereits Ostern 1871 wurde ihr Bildungsgang von sechs auf sieben Jahre verlängert, indem die Schüler der ältesten Klasse entsprechend ihren Leistungen in eine Ober- und Unterprima ge- trennt wurden. Latein wurde für alle Schüler obligatorisches Unterrichtsfach, und für die Absolventen der Oberprima wurde das Spektrum der weiterführenden Bildungsmöglichkeiten vergrößert, die sie ohne besondere Aufnahmeprüfung besuchen konnten. Das führte zu mehr Bewerbern für die Realschule. Da gleichzeitig – wenn auch langsamer – die Zahl der Gymnasiasten stieg, wurde es in der „Doppelanstalt“ in der Seminarstraße eng. An einen Neubau an einem anderen Standort war nicht zu denken, so dass sich die Staatsregierung im Bunde mit den Plauener Stadtvätern um die Erweiterung des vorhandenen Schulgeländes bemühte. Das gelang durch den Ankauf eines benachbarten Grundstückes von etwa 3200 m² Fläche durch das Kultusministerium, auf dem von Ostern 1873 bis zur Übergabe am 8. Oktober 1874 zusätzliche Unterrichtsräume geschaffen wurden. Bereits ein Jahr vorher mussten die 5. und die 4. Klasse wegen hoher Schülerzahlen getrennt werden, bevor 1875 der Bildungsgang der Realschüler auf 8 Jahre verlängert wurde. Diesmal wurde die zweitälteste Klasse entsprechend dem Leistungsniveau in eine Ober- und Untersekunda geteilt, und schließlich geschah das 1884 analog mit der Tertia. Damit besaßen die sächsischen Realschulen I. Ordnung dieselbe innere Struktur wie das Gymnasium und erhielten per Gesetz vom 15. Februar 1884 nach preußischem Vorbild die Bezeichnung „Realgymnasium“. Dieser allmähliche Übergang zu einer voll entwickelten höheren Schule war auch in Plauen von entsprechenden materiellen Aufwendungen für die Lehrmittel sowie personellen Entscheidungen hinsichtlich des Lehrkörpers begleitet. Der Bestand an naturwissenschaftlich-technischen Geräten und Anschauungsmitteln konnte beträchtlich erweitert werden. 1880 wurde mit Dr. Ewald Theodor Bachmann ein versierter Chemielehrer verpflichtet, ein Jahr später wurde der Mathematik- und Physiklehrer Prof. Dr. Ludwig Richard Emil Beez zum verantwortlichen Vizerektor für die Realabteilung berufen. Dennoch konnten alle diese Maßnahmen den einsetzenden Rückgang der Schülerzahlen für den Realschulzweig nicht aufhalten. Waren es 1876/77 noch 203 Schüler an den Plauener Realschulklassen, so sank die Frequenz bis 1883/84 auf 126. Vor allem aber blieb die Zahl derer, die den vollen Bildungsgang absolvierten, weit hinter den Erwartungen zurück. 1884 verließen nur noch vier Schüler mit dem Abitur die Schule, 1886 waren es gar nur zwei. Die Ursache lag – trotz aller Fortschritte – in den nach wie vor wenigen Berechtigungen der Realschulabiturienten für ein weiterführendes Studium, für die meisten Studienfächer galt nach wie vor das am Gymnasium erworbene Abitur als alleinige „Eintrittskarte“. Außerdem war für viele vogtländische Schüler ein Studium nicht finanzierbar, so dass sie sich mit dem Besuch der unteren Klassen zufrieden gaben, um danach eine praktische Tätigkeit in einem „Geschäft“ aufzunehmen. Die Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis am Plauener Realgymnasium veranlasste das Kultusministerium sehr bald, die Frage seiner weiteren Existenzberechtigung aufzuwerfen. Im Herbst 1884 – ein halbes Jahr nach seiner Gründung – traf es zunächst noch keine Entscheidung, doch 1885 verweigerte der Landtag die weitere Finanzierung der Anstalt auf Staatskosten. Dagegen erhob sich im Vogtland entschiedener Protest. Mehr als 3000 Bürger bekundeten mit ihrer Unterschrift, dass sie das Realgymnasium als unentbehrlich für das Vogtland hielten, allerdings traten sie für seine Trennung vom Gymnasium ein. Doch beide Kammern des Landtages stimmten im Februar und März 1886 für die Rückführung des Plauener Relagymnasiums in eine sechsklassige Realschule ab Ostern 1886. Später wurde vielfach darüber diskutiert, ob die Schließung des Realgymnasiums wirklich berechtigt war. Es hätte eine längere Anlaufzeit verdient gehabt und hätte von Anfang an eine selbstständige Einrichtung sein müssen, argumentierten der Sächsische Realschulmännerve- rein als Kritiker der Schließung. Andere meinten, die geringe Schülerzahl sei der Flaute im Wirtschaftsleben Mitte der achtziger Jahre geschuldet, und dieser sei dann ein Aufschwung gefolgt, der sich auch im Schulwesen niedergeschlagen habe. Eine dritte Meinung ging dahin, dass das Vogtland langfristig nicht ohne Realgymnasium sein könne, und diese Position sollte wieder an Bedeutung gewinnen. Doch zunächst war die Rückführung des Realgymnasiums in eine Realschule zu bewältigen. Da laut Gesetz über die höheren Schulen in Sachsen vom 22. August 1876 die Realschulen grundsätzlich in städtischer Regie stehen sollten, musste die Stadt Plauen die Aufgabe lösen, bis zum Schuljahr 1989/90 eine eigenständige sechsjährige Realschule zu konzipieren und ihre Finanzierung zu klären. Alle Sachkosten der Schule, vor allem aber die Gehälter der Lehrer waren künftig aus der Stadtkasse zu erbringen. Das war nicht sofort zu schaffen, so dass aus Dresden eine einmalige Unterstützung gewährt wurde. Doch nicht erst 1890, sondern sofort ab Ostern 1886 wurden die untersten drei Klassen des ehemaligen Realgymnasiums nach den Lehrplänen der Realschule unterrichtet, wobei Latein nur noch fakultativ angeboten wurde. Die älteren Jahrgänge konnten ihre Realgymnasialausbildung noch zu Ende führen, so dass im Februar 1889 die letzten Abiturienten die Schule verließen. Als Schulgebäude für die neue Realschule bot sich die 1841 geweihte Bürgerschule in der Syrastraße an, nachdem die bisher dort untergebrachte Höhere Volksschule den Neubau in der Karl-/Ecke Bärenstraße (die 1945 zerstörte Karlschule) bezogen hatte. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten zogen hier am 15. April 1890 206 Schüler in 8 Klassen mit 11 haupt- und 3 nebenamtlich angestellten Lehrern in die ehemalige Bürgerschule ein. An der Spitze der neu gegründeten Realschule stand ein erfahrener Direktor: Dr. Christian Achmed Scholtze.