Zum 100. Geburtstag der Plauener Friedensschule - Folge 1

von Roland Schmidt

 
Am 5. Oktober 2009 feiert die Plauener Friedensschule ihren 100. Geburtstag. Das Gebäude der heute weithin bekannten Mittelschule wurde 1909 als Realgymnasium geweiht. Das war ein bedeutender Gewinn für die Plauener Schullandschaft, gleichzeitig markierte die Schulweihe einen Meilenstein in der Entwicklung der Realschulbildung im Vogtland. 1. Folge: Die Realschulbildung hält Einzug ins Vogtland Die Anfänge der Realschulbildung im Vogtland liegen in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. In den Städten und Dörfern an Weißer Elster und Göltzsch nahmen immer mehr Industriebetriebe ihre Arbeit auf, die mit Dampfkraft betrieben wurden, wandelten sich Manufakturen zu Fabriken. Ihr effektives Betreiben erforderte nicht nur von Spezialisten, sondern auch von einfachen Arbeitern mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Kenntnisse. Doch nicht allein die Industrie, auch das Bauwesen, die Landwirtschaft und nicht zuletzt die nach 1835 einsetzende Entwicklung des Eisenbahnbaus riefen derartiges Wissen und Können auf die Tagesordnung. Von den bis dahin bestehenden Schulen war das jedoch nicht zu erwarten. Das an den Volksschulen erteilte Rechnen sowie die „Realienkunde“ verharrten auf einem bescheidenen Niveau. Am Plauener Gymnasium – der damals einzigen höheren Schule im Vogtland – wurde zwar ordentlich Latein und Griechisch gelehrt, Mathematik, Naturwissenschaften und moderne Fremdsprachen dagegen aber nur beiläufig betrieben. Erst 1835 trat ein speziell ausgebildeter „mathematicus“ in den Lehrkörper ein, die naturkundlichen Unterweisungen und der Unterricht im Französischen blieben weit hinter den Erfordernissen von Industrie und Wirtschaft zurück. Diesem nicht nur im Vogtland spürbaren Mangel an mathematisch-naturwissenschaftlich gebildetem Personal versuchte die Regierung des Königreiches abzuhelfen, indem sie die Industrieschule Dresden zu einer technischen Bildungsanstalt (die heutige Technische Universität) erweiterte und 1836 in Chemnitz, Zittau und Plauen „Mittlere Gewerbschulen“ gründete. Sie standen 14-jährigen Jungen offen, die in drei Jahren neben Deutsch und Französisch vor allem Mathematik, Physík, Chemie und technisches Zeichnen lernten. Die Plauener Gewerbschule war zunächst im „Voigtländischen Kreisschulhaus“ am Schulberg untergebracht, 1841 zog sie mit in das neue Bürgerschulgebäude an der Syrastraße ein. 1848 erhielt die Gewerbschule ein neues Gebäude in der Seminarstraße 15. An ihrer Spitze stand Christian Gottlob Pfretzschner (1797 – 1861), der später für seine verdienstvolle Arbeit zum Ehrenbürger der Stadt Plauen ernannt wurde. Da die Gewerbschulen auf dem bescheidenen Niveau der Volksschulbildung aufbauten, waren ihren Bildungszielen ebenfalls enge Grenzen gesetzt. Das führte um 1850 zu immer stärkeren Forderungen, diesen Bildungsgängen ein besseres Fundament zu geben, indem bereits für zehnjährige Schüler eine mathematisch und naturwissenschaftlich akzentuierte Allgemeinbildung erteilt werden sollte. Diese Ausbildung in den „Realien“ sollte sich über sechs Jahre erstrecken. Das Vorbild lieferten die Realschulen in Leipzig und Dresden, die sich allerdings erbittert darüber stritten, ob auch Latein zu ihrem Bildungskanon zählen muss oder nicht. Während es die Dresdner für unverzichtbar hielten, verneinten das die Leipziger, so dass sich in Sachsen zwei unterschiedliche Typen von Realschulen herausbildeten. Die erste Realschule des Vogtlandes wurde im Oktober 1849 in Reichenbach eröffnet. Ihr Initiator war Carl Bruno Weinhold (1816 – 1871), der die anfangs 37 Schüler – darunter 7 Mädchen – zunächst auf eigene Kosten unterrichtete, bevor er die Schule später mit staatlicher Unterstützung zu einer vier-, dann sechsjährigen lateinlosen Bildungsstätte ausbaute. Für Plauen musste eine andere Lösung gefunden werden. Die Stadt besaß einerseits ein Gymnasium, das nur mit großzügigen staatlichen Geldern erhalten werden konnte, andererseits beherbergte sie die in ihrer Entwicklung stagnierende Gewerbschule. Es war ein Gebot der finanziellen Vernunft, keine zwei höheren Schulen zu unterhalten, sondern den gymnasialen und den realen Bildungsgang an einer Schule zu vereinen. Diese „Doppelanstalt“ sollte eine städtische Einrichtung sein, die jedoch größtenteils der Staat finanzierte. Das Zusammenführen eines Gymnasiums mit einer Realanstalt war damals eine für Sachsen völlig neue Aufgabe, die vor allem von vielen Altsprachlern als Verrat an der Idee des Gymnasiums betrachtet wurde. Doch der Rektor des Plauener Gymnasiums, Prof. Dr. Johann Friedrich Palm (1813 – 1871) entledigte sich ihr mit Erfolg und erarbeitete für das zu gründende „Gymnasium und die mit demselben verbundene Realschule“ einen wohlüberlegten Lehrplan. Er konzipierte die beiden untersten Klassen beider Schultypen als gemeinschaftliche Vorbereitungsschule, so dass sich die Jungen erst mit 12 Jahren entscheiden mussten, ob sie weitere 7 Jahre den Gymnasial- oder 4 Jahre den Realschulzweig besuchen wollten. Alle Schüler begannen mit Latein als erster Fremdsprache, für das Gymnasium kamen später Griechisch und Französisch dazu. Die Realschüler betrieben Französisch und Englisch als weitere Fremdsprachen, vor allem aber erhielten sie einen deutlich umfangreicheren Unterricht in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Dafür wurden auch die notwendigen Lehrmittel besorgt. Am 27. April 1854 nahm die „Doppelanstalt“ ihre Tätigkeit auf. Palms Konzept wurde erfolgreich umgesetzt. Das zeigte sich nicht nur in der Verdoppelung der Zahl der Realschüler bis 1861, sondern auch in der Übernahme der Palmschen Ideen für eine ähnliche Situation in Zittau (1855). Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts traten jedoch in Plauen – wie in ganz Sachsen – neue Probleme mit den Realschulen auf, da viele Schüler die Einrichtung vor Ende des sechsjährigen Kurses verließen. Die Ursachen lagen in den arg beschränkten Möglichkeiten für den Besuch weiterführender höherer Bildungsstätten. Nur gute Realschulabschlüsse berechtigten zu ausgewählten Studiengängen an der Polytechnischen Schule Dresden, der Bergakademie Freiberg oder der Forstakademie Tharandt. Für viele weitere Richtungen – z.B. der für das Vogtland wichtigen Textilindustrie – gab es keine Angebote, so dass der Realschulabschluss an Attraktivität verlor. Das änderte sich 1867, als Sachsen dem Norddeutschen Bund beitrat und damit auch die Realschulabsolventen die Berechtigung zum „Einjährig-Freiwilligen Militärdienst“ erhielten, d.h. sie brauchten nur ein statt drei Jahre im Heer dienen, mussten dafür aber alle Kosten für Kleidung, Unterkunft und z.T. auch für die Ausrüstung selbst tragen und erwarben die Anwartschaft auf eine Offizierslaufbahn oder auf bessere Dienststellen in Wirtschaft und Verwaltung. Von dieser Regelung profitierten natürlich nur sozial besser gestellte Schüler, dennoch stiegen die Schülerfrequenzen in den oberen Klassen bedeutend an. Bereits 1868 standen an der Plauener „Doppelanstalt“ 200 Realschüler 100 Gymnasiasten gegenüber, und auch die Zukunft ließ ein stärkeres Wachsen des realen Zweiges erwarten. Die Schulleitung legte deshalb die Palmsche Konzeption zu den Akten und führte von Anfang an getrennten Unterricht für Real- und Gymnasialklassen ein. Auch die Lehrer wurden den beiden Schultypen fest zugeordnet, bevor die Realschulabteilung – wie überall in Sachsen – in den siebziger Jahren bedeutende Veränderungen erfuhr.