Zuchthaus und Berufsverbot für revolutionären Lehrer

von Roland Schmidt

 
Unter den vielen Lehrern, die im 19. Jahrhundert am Plauener Gymnasium unterrichteten, verdient Heinrich Lindemann eine besondere Würdigung. Sein Lebensweg begann standesgemäß wie der seiner Kollegen, sein Eintreten für die Revolution 1848/49 führte jedoch zum abrupten Abbruch seiner Karriere. Dienstentlassung, Zuchthaus und mühsamer Broterwerb als "Privatgelehrter" bestimmten seine letzten Lebensjahre. Er teilte das Los derer, die sich in den Revolutionstagen für die Einheit Deutschlands, für den Sturz der Monarchie und für die Durchsetzung der Menschenrechte eingesetzt hatten, und die nach der Niederschlagung der Revolution von der Reaktion verfolgt und gemaßregelt wurden. Heinrich Lindemann war 1843 ans Plauener Gymnasium gekommen. Er stammte aus Jöhstadt im Erzgebirge, wo er am 7. März 1800 geboren worden war. Seine Gymnasialzeit hatte er in Zwickau absolviert, anschließend studierte er Philologie in Leipzig. 1835 war er Konrektor des Annaberger Gymnasiums geworden. Als diese Bildungsstätte 1843 in eine Realschule umgewandelt wurde, erhielt Lindemann die Stelle als dritter Lehrer am Plauener Gymnasium. Er durfte den Titel "Konrektor" (stellvertretender Rektor) weiter tragen. Er unterrichtete die Tertia in Deutsch, Latein und Griechisch und genoss bei den Schülern hohe Achtung. Als in den Märztagen des Jahres 1848 die revolutionäre Bewegung in Deutschland aufflammte, fand sie bei vielen Menschen ein lebhaftes Echo. Auch Heinrich Lindemann begeisterte sich für diese Ideen. Die Begeisterung für die Revolution erfasste auch das Plauener Gymnasium. Freilich hielt sie sich innerhalb der Lehrerschaft - Lindemann ausgenommen - in Grenzen, schließlich war sie selbst königstreu erzogen worden und hatte seit Jahren in diesem Sinne gearbeitet. Stärker strahlte der Geist des Neuen auf die Schüler aus. So trugen die Primaner in jener Zeit schwarz-rot-goldene Bänder, Mützen und Halstücher. Sie verfolgten aufmerksam die Meldungen über die Ereignisse in ganz Deutschland. Freudig begrüßten sie Ende März 1849 die Verabschiedung einer Reichsverfassung, und sie waren wie viele andere bitter enttäuscht, als der preußische König die ihm angetragene Kaiserkrone abgelehnt hatte. Dieser Akt der Verachtung des Volkes rief alle entschiedenen Demokraten auf den Plan. Sie waren entschlossen, die Reichsverfassung auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Als Anfang Mai 1849 in Dresden erste Kämpfe aufflammten, die den sächsischen König Friedrich August II. zur Flucht auf die Festung Königstein zwangen, forderte die Bürgerbewegung den Sturz der Monarchie und die Gründung einer demokratischen Republik. In Plauen gründete sich am 6. Mai 1849 – getragen von verschiedenen Bürgervereinen – ein „Wehrausschuß zum Schutz der deutschen Reichsverfassung". Er warb Freiwillige für den „Zuzug nach Dresden" und sammelte dafür Waffen, Munition, Lebensmittel und Geld. An der Spitze des Ausschusses stand der Kaufmann Wilhelm Zschweigert, und als Schriftführer fungierte Heinrich Lindemann. Mit aufrüttelnden Worten und geübter Feder verfasste er mehrere Aufrufe und Plakate, um Freiwillige zu gewinnen oder Sachwerte für ihre Ausrüstung zu erwerben. So hieß es im Aufruf vom 7. Mai 1849: „Noch dauert der Kampf in Dresden fort... Darum auf, helft Euren Brüdern, eilt herbei mit und ohne Waffen, um zugleich die Ehre Plauens und des Voigtlandes zu retten..." In einem Zimmer des Rathauses liefen alle Fäden des Wehrausschusses zusammen, und Heinrich Lindemann hatte auch unter seinen Schülern fleißige Helfer. Doch alle Aktionen der Aufständischen kamen zu spät, bereits am 9. Mai 1849 hatten preußische Truppen die Dresdner Barrikadenkämpfer geschlagen. Der König kehrte nach Dresden zurück, und in den folgenden Wochen setzte eine gnadenlose Verfolgung aller Personen ein, die revolutionärer Umtriebe verdächtigt wurden. Viele wurden des Hochverrats angeklagt und zum Tode oder zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Nur wenigen gelang die Flucht ins Ausland. Heinrich Lindemann wurde unmittelbar nach den Maitagen vom Schuldienst suspendiert, und am 30. September 1849 folgte die endgültige Entlassung aus dem Gymnasium. Nach einem längeren Prozess wurde er zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die er in Waldheim büßte. Als er danach nach Plauen zurückkehrte, fand er keine Anstellung mehr, so dass er sich als „Privatgelehrter" mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen musste, um seine vielköpfige Familie wenigstens notdürftig ernähren zu können. Nachhilfestunden waren sein wichtigster Broterwerb. Dabei blieb er seiner demokratischen Gesinnung treu, die er auch gegenüber jüngeren Menschen offen vertrat. So wurde er für Friedrich Dittes zum väterlichen Freund. Dessen Entwicklung zu einem der entschiedensten Streiter für eine demokratische Schule hat Heinrich Lindemann maßgeblich beeinflusst. Heinrich Lindemann starb am 31. August 1870 in Plauen. Lindemann harte Bestrafung hatte unmittelbar nach der Revolution 1848/49 viele seiner Kollegen betroffen gemacht, und auch mancher seiner Schüler war dadurch irritiert worden. Ansonsten war jedoch der freiheitliche Geist dieser Jahre auch am Plauener Gymnasium schnell verflogen, und die Erziehung im monarchistischen Geist herrschte wieder vor.