Vogtländische Schüler in Schulpforte

von Roland Schmidt

 
Das Vogtland hat im Laufe seiner Geschichte eine Reihe bedeutender Gelehrter hervorgebracht. Der Theologe Konstantin Tischendorf, der Dichter, Philologe und Pädagoge Gottlieb Wilhelm Irmisch und der Astronom Georg Samuel Doerfel seien hier nur stellvertretend für viele andere genannt. Die meisten durchliefen die Bildungsstätten ihrer Heimat, um sich auf ein Universitätsstudium vorzubereiten. Die Plauener hohe Schule, deren Anfänge im Jahre 1319 liegen, wurde für viele Knaben wegweisend für ihr weiteres Leben. Ob als städtische Lateinschule, als Lyceum (ab 1704) oder als Gymnasium (seit 1835) - in allen Jahrhunderten bereitete sie befähigte Knaben aus wohlsituierten Familien, manchmal aber auch Sprößlinge, deren Eltern sich den Schulbesuch ihrer Söhne buchstäblich vom Munde absparen mußten, auf eine akademische Laufbahn vor. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts erfüllten auch Schulen anderer Städte des Vogtlandes diese Aufgabe. So rühmte sich 1792 der Rektor der Adorfer Knabenschule, daß unter seiner Amtsführung über 30 Jungen zur Aufnahme eines Studiums befähigt wurden. Darüber hinaus gab es für einige wenige Knaben noch eine andere Möglichkeit, eine höhere Bildung zu erwerben und sich auf ein Universitätsstudium vorzubereiten - der Besuch einer "Fürstenschule". Diese waren nach der Reformation entstanden, als plötzlich viele Führungsfunktionen in der Gesellschaft mit Männern besetzt werden mußten, die dem lutherischen Geist verpflichtet waren. Martin Luther selbst hatte 1524 in seiner Schrift "An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes" das Problem deutlich beim Namen genannt: "Wo will man Pfarrherrn, Prediger und andere Personen zum Worte Gottes, zur Seelsorge und Gottesdienst nehmen? Wo wollen Könige, Fürsten, Herren, Städte und Länder nehmen Kanzler, Räte, Schreiber, Amtleute...?" Dieser Bildungsauftrag galt natürlich für alle hohen Schulen und Universitäten in den protestantischen Gebieten, doch sie allein konnten den wachsenden Bedarf nicht decken. Im albertinischen Sachsen, in dem sich die Lehre Luthers Ende der dreißger/Anfang der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts durchsetzte, wurden deshalb weitere Möglichkeiten erschlossen. Am 21. Mai 1543 verkündete Herzog Moritz von Sachsen eine "Neue Landesordnung". Sie sah u.a. die Gründung dreier hoher Schulen vor, die durch den Staat geleitet und unterhalten werden sollten. Sie sollten aus den ehemaligen katholischen Klöstern Meißen, Merseburg und Pforte (bei Naumburg) hervorgehen. Jeweils 70 bis 100 Schüler sollten in sechs Jahren auf ein Universitätsstudium, vor allem der Theologie und der Rechtswissenschaft, vorbereitet werden. Allen Schülern sollte ein kostenfreier Unterricht sowie voller Unterhalt mit Verpflegung, Kleidung und Büchern gewährt werden. Natürlich galt das nur für "Landeskinder", aber es war eine Möglichkeit, wenigstens einigen Kindern aus sozial benachteiligten Schichten eine höhere Bildung zu vermitteln. Ein Verteilerschlüssel legte fest, wieviele Stellen den einzelnen Landesteilen zur Verfügung standen. Während die Schulen in Meißen und Pforte noch 1543 ihre Arbeit aufnahmen, erfolgte die dritte Gründung erst 1550, allerdings nicht in Merseburg, sondern in Grimma. Bei der ersten Vergabe der Freistellen für die Fürstenschulen mußte das Vogtland unberücksichtigt bleiben, da es bis 1547 zum ernestinischen Sachsen gehörte und danach böhmisches Lehensgebiet war. Das änderte sich mit dem schrittweisen Erwerb des Vogtlandes durch Kurfürst August in den sechziger Jahren und die Bildung des Vogtländischen Kreises 1577. Die Fürstenschulen standen nun auch Knaben aus dem Vogtland offen, und 1564 wurde Christoph Hubner aus Plauen erster vogtländischer Schüler in Pforte. Drei Jahre später regelte der Kurfürst in einem Brief vom 11. August 1567 die Vergabe der Plätze an das Vogtland auf Dauer. Er sicherte zu, "daß der Rat zu Plawen zwene, Oelsnitz auch zwene, Adorff, Neunkirchen und Schöneck aber jede Stadt einen Knaben in unserer Schule zu Pforten ... zu benennen haben", und er forderte die Stadtväter der genannten Orte auf, bereits zu Michaelis (29. September) 1567 diese Möglichkeiten zu nutzen. Das geschah, auch wenn nicht in jedem Falle das Kontingent voll ausgeschöpft wurde. Bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges besuchten insgesamt 90 Vogtländer die zwischen Naumburg und Bad Kösen gelegene Schule. 33 stammten aus Oelsnitz, 25 aus Plauen, 12 aus Adorf, 6 aus Schöneck und 9 aus Markneukirchen. Fünf Schüler kamen aus vogtländischen Orten, die im Brief des Kurfürsten keine Erwähnung fanden. Das waren Kinder des niederen Adels, für die es ein Sonderkontingent an Freistellen gab. Das Leben der "Pförtner", wie die Schüler genannt wurden, war bestimmt nicht leicht. Sie lebten sechs Jahre unter klosterähnlichen Bedingungen, und Heimreisen zu den Eltern waren bestenfalls einmal im Jahr während der Sommerferien möglich. Der Unterricht forderte viel Kraft, zumal er vor allem den alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch eine hohe Stundenzahl einräumte. Doch die Lernergebnisse der Schüler konnten sich sehen lassen, die Absolventen der Fürstenschulen besaßen einen guten Ruf. Die meisten studierten anschließend Theologie, nur wenige wandten sich der Rechtswissenschaft oder der Medizin zu. Nur ein kleiner Teil von ihnen kehrte nach dem Studium ins Vogtland zurück. Städte wie Leipzig und Dresden oder aber andere Zentren außerhalb Sachsens boten einfach bessere Entwicklungsmöglichkeiten. Einer der letzten Vogtländer, der die Schule in Pforte bezog, war Johann Gottlieb Dölling. Er war 1796 in Adorf als Sohn armer Handwerker geboren worden, und er hatte bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr die Kirchschule seiner Heimatstadt besucht. Einflußreiche Männer der Stadt wie der Finanzprokurator Becker hatten die Begabung des Jungen erkannt und ihm eine Freistelle in Pforte verschafft, die Dölling von 1809 bis 1815 einnahm. Danach studierte er Theologie und Philologie in Leipzig. 1819 wurde er Lehrer am Plauener Lyceum. Von 1829 bis zu seinem Tode 1850 stand er an der Spitze der Anstalt, die er 1835 in ein Gymnasium umwandelte. Ähnlich vollzog sich auch die Karriere der anderen Schüler, die das Abitur an den sächsischen Fürstenschulen erwarben. Allerdings war Schulpforte ab 1815 für Schüler aus Sachsen nicht mehr zugänglich, da der Ort mit dem gesamten Gebiet zwischen Naumburg und Wittenberg nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses in preußischen Besitz kam. Die für das Vogtland getroffene Regelung, sieben befähigten Schülern eine kostenfreie Ausbildung zu gewähren, blieb dennoch bestehen. Ein Vertrag vom 27. Juli 1817 übertrug diese Aufgabe der Fürstenschule " St. Augustin" in Grimma. Der Verteilerschlüssel blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen, und er wurde von den auserwählten vogtländischen Städten gern genutzt.