Prof. Dr. Rudolf Dietsch als Rektor des Plauener Gymnasiums

von Roland Schmidt

 
Der Herbst des Jahres 1861 stellte im Leben des in Fachkreisen hochgeachteten Sprachwissenschaftlers und geschätzten Lehrers Prof. Dr. Rudolf Dietsch einen wichtigen Einschnitt dar. In dieser Zeit kehrte der gebürtige Vogtländer nicht nur in seine Heimat zurück, sondern er übernahm als Rektor des mit einer Realschule verbundenen Plauener Gymnasiums auch eine sehr verantwortungsvolle Funktion. Beide Aspekte - so führte er in seiner Antrittsrede aus - erfüllten ihn mit Freude und Bangigkeit zugleich. Zum einen reizte ihn die Arbeit an der Hohen Schule des Vogtlandes, zum anderen stellte er sich die Frage, ob er dieser großen Verpflichtung gerecht werden könne. Diese Haltung ehrte Dietsch, und sie entsprach seiner ganzen Persönlichkeit, doch eigentlich waren diese Zweifel unbegründet. Sein bisheriger Lebensweg hatte ihn für sein Wirken am Plauener Gymnasium gut vorbereitet, sein scharfer Geist und seine menschliche Wärme boten genügend Gewähr, diese neue Aufgabe zu meistern. Rudolf Dietsch stammte aus Mylau, wo er am 16. März 1814 geboren wurde. Schon mit vier Jahren verlor er seinen Vater, der als Direktor in der Brücknerschen Spinnerei tätig war, und die Mutter zog mit dem Jungen nach Reichenbach. Dort erhielt Rudolf Dietsch seinen ersten Unterricht, bevor er 1824 Schüler des Stiftsgymnasium in Zeitz wurde. 1832 bis 1836 folgten die entscheidenden Studienjahre in Leipzig. Er studierte Philosophie und Philologie, und Professor Dr. Gottfried Hermann, der den altsprachlichen Unterricht seiner Zeit maßgeblich prägte, wurde sein wichtigster akademischer Lehrer. Bei ihm vertiefte der junge Dietsch nicht nur seine griechischen Spachkenntnisse, sondern er wurde auch Mitglied von Hermanns "Societas Graeca", einer Vereinigung zum Studium der altgriechischen Kultur und Geschichte. 1837 wechselte Dietsch zur Universität Halle, um dort sein Studium abzuschließen. Im gleichen Jahr trat er in Hildburghausen seine erste Anstellung als Gymnasiallehrer an. Seit dieser Zeit gab er Lehr- und Übungsbücher für den altsprachlichen Unterricht heraus, die viele Auflagen erlebten. Die Heirat mit Bettina Teubner, der Tochter des bekannten Leipziger Verlegers, führte ihn 1840 wieder nach Sachsen zurück. Er wurde Lehrer an der Fürstenschule Grimma, zunächst für Geschichte und Geographie, später auch für Latein und Griechisch. Auch hier war seine Lehrtätigkeit eng verbunden mit der Herausgabe von Lehrbüchern für den Geschichtsunterricht sowie von kommentierten Textausgaben zu lateinischen und griechischen Autoren der Antike. Die Werke des römischen Politikers und Historikers Sallust fanden seine besondere Liebe. Darüber hinaus erwarb sich Dietsch große Verdienste als Redakteur der "Jahrbücher für Philologie und Pädagogik", die nicht nur von sächsischen Gymnasiallehrern mit großem Interesse gelesen wurden, sondern in ganz Deutschland Anerkennung fanden. Darüber hinaus stand Rudolf Dietsch im Kampf um eine sächsische Gymnasialreform an vorderster Stelle. In Plauen erwartete Rudolf Dietsch eine etwas andere Aufgabe. Zwar hatte er als Rektor weitgehende Freiräume, seine Auffassungen zum altsprachlichen Unterricht umzusetzen, die seit 1854 dem Gymnasium angeschlossene Realschule führte ihn aber auch auf ein völlig neues Arbeitsfeld. Er verteidigte deshalb in seiner Antrittsrede den Bildungswert der alten Sprachen, betonte aber gleichzeitig den Nutzen der Mathematik, Naturwissenschaften, des Deutschen und der modernen Fremdsprachen. Nicht im vielen Wissen der Schüler sah er das Ziel der Schularbeit, sondern in ihrer Befähigung zum Denken, zum selbständigen Erwerb von Kenntnissen aus innerem Antrieb. Mit diesem Programm führte sich Rudolf Dietsch am 8. Oktober 1861 als Nachfolger von Prof. Dr. Friedrich Palm als Plauener Rektor gut ein, und es gelang ihm, zu seinen Kollegen und Schülern ein respektvolles, aber freundschaftliches Verhältnis herzustellen. Er verstand es, im Unterricht "die jugendlichen Geister lebhaft und vielseitig anzuregen". Er konnte die Anziehungskraft der Schule erhöhen, so dass die Schülerzahl stieg. 1865 wurde unter Dietschs Leitung auch an der Plauener Hohen Schule die Trennung der Schüler in Gymnasiasten und Realschüler bereits ab der Quinta eingeführt. Zugleich wurde für die Realschulklassen V und IV der Lateinunterricht obligatorisch. Für die höheren Klassen blieb er ein fakultatives Fach, im Interesse eines späteren akademischen Studiums wurde es den Schülern aber dringend empfohlen. Die Absicherung dieses Unterrichts sowie weitere Veränderungen im Schulbetrieb gelangen gut, so dass die Schule ihr Leistungsniveau halten konnte. Allerdings mußte Rudolf Dietsch zugunsten dieser Arbeit für die Schule den bisherigen Umfang seiner wissenschaftlichen Arbeit reduzieren. Ungebrochen blieb aber, wie in allen Jahren zuvor, sein hohes soziales Engagement. Selbst kinderlos geblieben, unterstützten Rudolf Dietsch und seine Frau arme Schüler, und vielen wurde seine Familie zum zweiten Elternhaus. Trotz dieser erfolgreichen Tätigkeit zum Wohle der Hohen Schule des Vogtlandes hat Rudolf Dietsch nach fünf Jahren das Plauener Gymnasium wieder verlassen. Ihn zog es nach Grimma zurück, an seine alte Wirkungsstätte, dessen Rektorat neu zu besetzen war. Hier entfaltete sich Dietsch noch einmal in der engen Verbindung von Wissenschaftler und Schulmann, die an dieser Fürstenschule in weit höherem Maße gefragt war als am Plauener Gymnasium. Doch es waren ihm nur noch wenige fruchtbare Jahre beschieden. Ein Nervenleiden beeinträchtigte seine Unterrichtsarbeit immer mehr, so dass er Ostern 1872 aus dem Schuldienst ausscheiden mußte. Die fortschreitende Krankheit machte schließlich den stationären Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Leipzig-Stötteritz erforderlich, wo er am 29. 12. 1875 verstarb. Die zahlreichen Kollegen und Schüler, die ihm die letzte Ehre erwiesen, und die Nachrufe, die von einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden, belegten die hohe Achtung, die sich der gebürtige Vogtländer Rudolf Dietsch als Gelehrter, Schulmann und Mensch erworben hatte.