Die Friedensschule wird 90 Jahre alt

von Roland Schmidt

 
Majestätisch thront sie am Fuße des Bärensteins, und würdig wirkt ihr Gebäude auch noch nach neun Jahrzehnten. Die Rede ist von der Plauener Friedensschule, die Anfang Oktober 1999 auf eine neunzigjährige Geschichte verweisen kann. Am 5. Oktober 1909 war das Schulhaus als städtisches Realgymnasium geweiht worden, und am nächsten Tag nahmen 745 Schüler in 30 Klassen den Unterricht auf. Damit fand ein langer und in sich wechselvoller Prozeß der Plauener Schulentwicklung seinen folgerichtigen Abschluß. Schon sechzig Jahre vorher, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, hatten weitblickende Männer die wachsende Bedeutung naturwissenschaftlicher Kenntnisse für die einsetzende industrielle Entwicklung erkannt, und auch für das Vogtland wurde ein verstärkter Unterricht in den Realien für erforderlich erachtet. Die Gründung einer Realschule in Reichenbach (1849) und die Angliederung einer Realschulabteilung an das Plauener Gymnasium (1854) belegen das deutlich. Die Realschüler am Plauener Gymnasium hatten - wie die Gymnasiasten - Latein als obligatorische Fremdsprache in allen Klassen. Im Unterschied zu diesen lernten sie dazu aber noch eine moderne Fremdsprache, und der verstärkte naturwissenschaftliche Unterricht bereitete die ausschließlich männlichen Schüler auf den Besuch technischer Schulen im Königreich Sachsen vor. Nach preußischem Vorbild wurde dieser Schultyp, der bis zum Abitur führte, ab 1871 als Realgymnasium bezeichnet. Er erfreute sich wachsender Beliebtheit, und in der Gründerzeit überwog in Plauen der Anteil der Realgymnasiasten gegenüber den Schülern des klassischen Gymnasiums. Der nachfolgende "Gründerkrach" mit seiner wirtschaftlichen Regression brachte aber sehr schnell die Umkehrung der Zahlenverhältnisse, und es war nicht zu übersehen, daß viele Realgymnasiasten nur noch die unteren Klassen besuchten, um danach Tätigkeiten auf mittlerer Ebene in Wirtschaft und Verwaltung aufzunehmen. Der Sinn des Realgymnasiums war in Frage gestellt, und am 23. Februar 1886 beschloß die königliche Regierung in Dresden, auch das Plauener Realgymnasium aufzuheben und in eine eigenständige Realschule zurückzubilden. Das geschah schrittweise in den Jahren 1888 bis 1890, wobei die städtische Realschule im Gebäude an der Syrastraße ihr Domizil fand, während das Gymnasium zur sächsischen Staatsanstalt aufstieg und weiterhin in der Seminarstraße verblieb. Doch die Entscheidung gegen das Realgymnasium erwies sich sehr schnell als kurzsichtig. Die Wirtschaft nahm wieder einen rasanten Aufschwung, und speziell in der Vogtlandmetropole setzte dank der Spitzenindustrie ein Wachstum auf allen Gebieten ein. Mitte der neunziger Jahre mehrten sich in Plauen die Stimmen derer, die wieder für eine Weiterführung der Realschulbildung bis zum Abitur plädierten und die Wiedereinführung des Realgymnasiums forderten. Versuchsklassen bewiesen die Machbarkeit der Idee, und 1901 erteilte das Königliche Unterrichtsministerium die Genehmigung, die Plauener Anstalt als "Realgymnasium mit Realschule" zu bezeichnen. Sie blieb im Gebäude an der Syrastraße, benötigte aber weitere Unterrichtsräume im Stadtzentrum, wie z.B. dasFranckesche Haus in der Marktstraße und das Gebäude der ehemaligen Handelsschule in der Melanchthonstraße. Das konnte aber kein Dauerzustand sein, zumal sich die Schülerzahl von Jahr zu Jahr erhöhte. Ministerium und Stadt strebten deshalb nach einer neuen Lösung, die auf zwei eigenständige Einrichtungen hinauslief und einen Neubau erforderte. Bereits 1904 kaufte die Stadt das 6800 Quadratmeter große Baugelände am Hang des Bärensteins, und drei Jahre später bewilligte das Stadtparlament 790 000 Mark als Bausumme für das Schulgebäude. Im Mai 1909 stellte die Stadt Plauen noch eine Summe von mehr als 30 000 Mark für die Anschaffung von Lehrmitteln zur Verfügung. Inzwischen war der Neubau fertiggestellt, so daß mit dem Ende der Michaelisferien 1909 die feierliche Eröffnung des Realgymnasiums stattfinden konnte. In den Jahren bis zum ersten Weltkrieg wurde die künstlerische Ausgestaltung der Schule noch vervollkommnet, vor allem die Aula wurde durch ein dreiteiliges Wandgemälde geschmückt. Etwa 450 Schüler und 31 Lehrkräfte nahmen 1909 den Unterricht am Realgymnasium auf, 1926 wurde mit 709 Schülern der stärkste Besuch erreicht. 1937 wurde das Realgymnasium als Schultyp abgeschafft, und in das Schulgebäude zog eine Oberschule für Knaben ein. 1938 bis 1945 beherbergte es die Wirtschaftsoberschule. Beim Bombenangriff am 16. Januar 1945 brannte der Dachstuhl aus, und auch anderweitig war das Gebäude schwer beschädigt worden. Nach dem Krieg wurde es relativ schnell wieder aufgebaut, und unter dem Namen "Friedensschule" spielt sie seitdem in der Plauener Schullandschaft eine gewichtige Rolle, sei es als Polytechnische Oberschule in der DDR oder als Mittelschule im heutigen sächsischen Bildungssystem.