Der Sedantag am Plauener Gymnasium
Der 2. September war an allen Schulen des deutschen Kaiserreiches ein besonderer Tag. Als "Sedantag" gefeiert, sollte er die Erinnerung an den Sieg der deutschen Armee in einer der wichtigsten Schlachten des Deutsch-Französischen Krieges wach halten. Am 1. September 1870 hatten die deutschen Truppen die französische Armee bei Sedan geschlagen, und am nächsten Tag hatten sie 83 000 französische Soldaten in die Festung Sedan eingeschlossen und zur Kapitulation gezwungen. Unter den Gefangenen war auch der französische Kaiser Napoleon III., der als einer der Hauptgegner des von Bismarck erstrebten einheitlichen deutschen Staates unter preußischer Führung galt. Das deutsche Reich annektierte Elsass-Lothringen und kassierte außerdem von Frankreich fünf Milliarden Francs an Kriegsentschädigung. Schon während des Krieges wurde in Deutschland begonnen, die Schlacht bei Sedan zu glorifizieren. In den folgenden Jahren entwickelte sich daraus ein regelrechter Kult, der vor allem an den Schulen betrieben wurde. Das Plauener Gymnasium machte dabei keine Ausnahme. Alljährlich am 2. September wurde der Sedantag gefeiert, wobei in der ersten Zeit Worte des Gedenkens an die Schlacht sowie die Ehrung der Gefallenen im Mittelpunkt standen. So sprach bereits im Jahre 1871 Rektor Prof. Dr. Döhner bei einer Schulfeier Worte der Erinnerung. Lehrer und Schüler sangen Choräle, und an einer Tafel im Schulhaus, die die Namen der acht ehemaligen Schüler enthielt, die im Krieg 1870/71 gefallen waren, wurden Blumen niedergelegt. Bis Mitte der siebziger Jahre wurde dieses Veranstaltungsmuster beibehalten, manchmal ergänzt durch Nachmittagsausflüge in die Umgebung Plauens. Bald waren aber schärfere Töne zu hören. Schon 1878 wurden die Schüler in einer "patriotischen Feier" vom Festredner zu treuer Pflichterfüllung und zum Gehorsam gegenüber Staat und Schule aufgerufen, und zehn Jahre später bestimmten nationalistische und militaristische Worte endgültig das Feld. So feierte Konrektor Prof. Dr. Pötzschke am 2. September 1888 die Einheit des Reiches, weil sie "nicht durch Reden, sondern Taten, nicht durch hochfliegende Begeisterung, sondern durch Manneszucht unserer Heere" erreicht worden sei. Der abschließende Gesang "Rauschet, rauschet, ihr deutschen Eichen" lag auf der gleichen Wellenlänge. Noch deutlicher hieß es dann zwei Jahre später in der Festrede, der 2. September 1870 sei "für Frankreich ein göttliches Gericht, für Deutschland eine göttliche Gnade" gewesen. Damit hatten die Sedanfeiern auch am Plauener Gymnasium eine eindeutig nationalistische, ja chauvinistische Stoßrichtung erhalten. Politische Denkweisen, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts im gesamten gesellschaftlichen Leben durchsetzten, waren damit in vollem Maße auch in die Schulstuben eingedrungen. Sie standen im Widerspruch zur humanistischen Bildungskonzeption, die das Gymnasium vermitteln sollte. Dieser Widerspruch wurde damals von verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durchaus erkannt, und es gab nicht wenige, die sich für den Wegfall der Sedanfeiern einsetzten. Die Lehrer des Plauener Gymnasiums gehörten offenbar nicht dazu. Sie reflektierten zwar die warnenden Stimmen in ihren Festreden, setzten aber eindeutig ihren Standpunkt dagegen, dass jeder Sedantag ein Jubel- und Dankfest der Schüler sein müsse. Und so wurde dann diese verhängnisvolle Tradition fortgeführt und inhaltlich weiter intensiviert. 1892 hielt Oberlehrer Martin in seiner Eigenschaft als Reserveoffizier vor Schülern von Oberprima bis Untertertia von Ostern bis Weihnachten allwöchentlich in einer zusätzlichen Unterrichtsstunde eine Vortragsreihe über die Schlacht bei Sedan, da - wie es im Schuljahresbericht 1892/93 hieß - die Jugend "von den Großtaten unseres tapferen Heeres, die die Bewunderung der gesamten Welt erregten, meist nur erstaunlich wenig" wisse. Von 1894 an wurden alljährlich die Sedanfeiern mit dem Verlesen der Emser Depesche eingeleitet, jenes Dokumentes, das den Kriegsausbruch veranlasst hatte. Ende der neunziger Jahre hatte Rittmeister von Bodenhausen auf Pöhl dem Gymnasium zur Feier des Sedantages die Pyramidenwiese im Triebtal überlassen. Von der Pauluskirche marschierten die Schüler dorthin in "militärischer Ordnung", vor Ort standen Festansprachen und "patriotische Gedichte" auf dem Programm. 1898 hieß es dabei eindeutig, mit den Ereignissen 1870/71 sei die Entwicklung des Deutschen Reiches nicht abgeschlossen, vielmehr gäbe es neue große Aufgaben nach innen und außen zu lösen. Drei Jahre später sprach der Festredner "Über den sittlichen Wert des Krieges". Von 1902 an fanden die Sedanfeiern auf dem Gelände rund um das "Echo" statt. In den Jahren 1908 bis 1910 waren die Veranstaltungen zum Sedantag auf Klassenausflüge in die verschiedensten Gegenden des Vogtlandes reduziert, aber schon 1911 hatte sich das schlagartig geändert. Unter dem neuen Rektor Professor Dr. Heyden führten die Gymnasiasten - zwar nicht am Sedantag, sondern im Juli und August - "Kriegsspiele" durch. Unter der Überschrift "Die Erstürmung von Oberneundorf" und "Ein Kriegsspiel bei Syrau" berichtete darüber auch der "Vogtländische Anzeiger", und er sah in den Aktivitäten der Schüler den Beweis erbracht, dass sie "auch draußen im Felde ihren Mann stehen." Am 2. September 1913 fand ein ähnliches Kriegsspiel im Gelände des Plauener Stadtwaldes statt, das schließlich mit einem "Kampf um Reißig" endete. Ein Jahr später war aus dem bösen "Spiel" längst traurige Realität geworden. Der erste Weltkrieg war entbrannt, und gleich in den ersten vier Kriegswochen hatte auch das Plauener Gymnasium aus den Reihen seiner ehemaligen Schüler zehn Gefallene zu beklagen. Dessen ungeachtet sah jedoch Rektor Professor Dr. Kunze in seiner Rede am 2. September 1914, dass der Krieg in den Deutschen besonders die Gottesfurcht und die Menschenliebe in ihren verschiedenartigen Betätigungen wieder erweckt oder gesteigert habe. Mit der Wahrheit hatte das wohl nichts zu tun, am allerwenigstens mit dem brutalen Abschlachten junger Männer an der Front. 134 ehemalige und aktuelle Schüler und drei Lehrer des Plauener Gymnasiums verloren im ersten Weltkrieg ihr Leben. Der alljährliche Sedantag hatte daran keinen geringen Anteil.