Das Plauener Gymnasium im ersten Weltkrieg

von Roland Schmidt

 
"Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts in der Welt!" dieses Bismarck-Zitat rief der Rektor des Plauener Gymnasiums, Professor Dr. Richard Kunze, Schülern und Lehrern zu, als sie nach den Sommerferien am 17. August 1914 den Unterricht wieder aufnahmen, und er verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass Gott mit der gerechten Sache des Vaterlandes sei und der Deutschen den endgültigen Sieg und einen ruhmreichen Frieden schenken werde. Der Geist dieser Worte passte so recht in die „hurrapatriotische" Stimmung, die der Ausbruch des ersten Weltkrieges in weiten Kreisen des deutschen Volkes hervorgebracht hatte. Er entsprach dem übersteigerten Nationalismus und dem Irrglauben, der Krieg werde binnen weniger Wochen mit einem glorreichen Sieg für Deutschland enden. Doch es blieb nicht nur bei den Worten, und so wie überall der Krieg das gesellschaftliche Leben zu beherrschen begann, so veränderte er auch den Alltag am Plauener Gymnasium. So schrieb Rektor Kunze im Schuljahresbericht 1914/15, „dass es vom ersten Tage ab das aufrichtige Bestreben der Lehrer und Schüler gewesen ist, an ihrem Teil dafür zu sorgen, dass die große Zeit nicht etwa ein kleines Geschlecht finde". Da halfen Schüler bei der Ernte, andere betreuten auf dem Oberen Bahnhof durchreisende Truppenteile oder waren zu verschiedenen Sammelaktionen unterwegs. Glaubt man Rektor Kunzes Bericht, so waren das jedoch alles Kleinigkeiten gegenüber dem Wunsch der Schüler der oberen Klassen, „erfüllt von begeisterter Vaterlandsliebe . . . freiwillig in das Heer einzutreten". Mit Vorprüfungen für die Schüler von Oberprima bis Untersekunda habe das Königliche Ministerium diesem Verlangen Rechnung getragen. Glanzlichter der Schule seien jedoch die Einberufungen von drei Lehrern sowie vieler ehemaliger Schüler gleich in den ersten Kriegstagen gewesen. Folgt man den Worten von Rektor Kunze, so könnte man denken, der Krieg habe Lehrer und Schüler gleichermaßen überrascht, denn am 14. Juli 1914 seien sie alle freudig und wohlgemut in die Sommerferien gegangen – als hätte es das Attentat von Sarajevo nicht gegeben. Ein Blick in die Geschichte des Plauener Gymnasiums zeigt aber, dass – wie überall – auch an dieser Bildungsstätte seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts Chauvinismus und Militarismus immer stärker Fuß gefasst hatten. Höhepunkte waren alljährlich am 2. September die unseligen Sedanfeiern, die sich vor allem gegen den „Erzfeind" Fränkreich richteten. Regelmäßige Vorträge über die deutschen Kolonien, Werbefahrten zu Stützpunkten der Kriegsmarine und schließlich eine Glorifizierung des Krieges in allen Unterrichtsfächern taten ein übriges. Gipfel dieser Entwicklung war zweifellos Rektor Kunzes Rede zur Sedanfeier 1914, die unter dem Thema stand „Der Krieg ist der Schöpfer aller Dinge". Die sich häufenden Todesnachrichten von der Front änderten daran zunächst nichts - im Gegenteil: Der Tod auf dem Schlachtfeld wurde als wertvollster Dienst am Vaterland gepriesen. Schon am 15. August 1914 forderte der Krieg sein ersten Opfer unter den ehemaligen Plauener Gynasiasten, und am Ende dieses ersten Kriegsmonats waren aus ihren Reihen bereits zehn Gefallene zu beklagen. Wenige Tage später, am '7. September, fiel Alfred Voigt, der erste jenes Schülerjahrganges, der kaum ein halbes Jahr vorher das Zeugnis der Reife entgegengenommen hatte. Kurt Nostitz und Otto Grimm, die demselben Absolventenjahrgang angehört hatten, fielen im September 1914 bzw. im Januar 1915. Und so ging es immer weiter, die Zahl der Kriegsopfer erhöhte sich von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Eine 1926 veröffentlichte Liste weist insgesamt 136 Tote aus, drei Lehrer und 133 Schüler. 1927 wurde ein weiterer gefallener Schüler nachgetragen. Unter den Toten waren 22 Schüler, die direkt von der Schulbank an die Front gegangen sind und ihr junges Leben im Krieg lassen mussten. In fünf Fällen handelte es sich um Brüderpaare, einmal gar um drei Brüder, die „auf dem Felde der Ehre" einen grausamen Tod fanden. An der Schule selbst wurde der Kriegsverlauf aufmerksam verfolgt, und auch sonst bestimmte der Krieg die tägliche Unterrichtstätigkeit. Bis in das dritte Kriegsjahr hinein wurden die Schüler in die Aula zusammengerufen, um ihnen die Siege der deutschen Truppen zu verkünden. Doch spätestens seit der Schlacht bei Verdun (1916) änderte sich das. Immer öfter wurden Lehrer an die Front eingezogen, und die wachsende materielle Not beeinträchtigte den Unterricht empfindlich. Im Februar 1917 mußte die Schule wegen Kohlenmangels erstmals für zwei Wochen schließen, im Herbst 1917 konnte aus gleichem Grund längere Zeit nur vormittags unterrichtet werden. Auch nach dem Krieg kam es deshalb häufig zu Unterrichtsausfall. Nach Kriegsende wurde an der Schule vieles getan, das Andenken der gefallenen Lehrer und Schüler lebendig zu erhalten, ohne die wirklich Schuldigen an ihrem Tod zu nennen. Das zeigte auch die Weihe eines Ehrenmals zwischen den Türen zur Aula des Plauener Gymnasiums in der Blücherstraße im August 1923, bei der derselbe Rektor Professor Richard Kunze die Festrede hielt. Im gleichen Stil wie im verhängnisvollen Jahre 1914 rief er die Schüler auf, es „im nacheifernden Streben . . . der Treue der Gefallenen durch selbstbewußte Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes gleichzutun". Dem wahren Vermächtnis seiner vielen Schüler, die zwischen 1914 und 1918 einen letztlich sinnlosen Tod starben, wurde er damit nicht gerecht.