22. April 2011: 100 Jahre Diesterwegschule Plauen

von Roland Schmidt

 
Den 100. Geburtstag ihres Schulgebäudes feiert das Diesterweg-Gymnasium vom 22. bis 27. August mit einer Festwoche, denn jetzt im April erfordern die Abiturprüfungen von Schülern und Lehrern höchste Konzentration. Dennoch soll der 22. April 1911 als Tag der Schulweihe nicht vergessen werden.Das weithin sichtbare Schulhaus in der Diesterwegstraße nimmt unter den Plauener Schulen einen besonderen Platz ein. Es erfuhr in den 100 Jahren seines Bestehens die vielfältigste Nutzung. Die meiste Zeit beherbergte es gleich zwei Bildungseinrichtungen in seinen Mauern und ihr Einzugsbereich erstreckte sich nicht nur über die ganze Stadt, sondern auch über das umliegende Kreisgebiet. Vor allem wurden in ihm Bildungsziele erstrebt, die über denen der meisten anderen Plauener Schulen lagen. Eröffnet wurde das Schulhaus als Zweite Höhere Bürgerschule. Das war keine zum Abitur führende Bildungsstätte, sondern eine gehobene Volksschule. Sie besaß einen anspruchsvolleren Lehrplan, ihr Besuch kostete aber auch mehr Schulgeld als der mittlerer oder einfacher Volksschulen. Für die Jungen bot sie einen achtjährigen Lehrgang an, die Mädchen konnten mangels anderer Bildungsmöglichkeiten freiwillig noch ein 9. und 10. Schuljahr absolvieren. Eine solche Höhere Bürgerschule gab es bereits seit 1889 in der Karl-/Ecke Bärenstraße, doch sie konnte die wachsende Zahl der Schüler nicht mehr fassen, so dass seit 1905 die Idee reifte, in Plauen eine zweite Bildungsstätte gleichen Typs zu errichten. Die Suche nach einem geeigneten Standort gestaltete sich schwierig, und erst am 18. Mai 1909 legten sich die Stadtverordneten auf das Grundstück an der Diesterwegstraße fest. Drei Monate später begannen die Tiefbauarbeiten, und bis zum April 1911 wurde zunächst nur der Gebäudeteil A, der sich von der Comeniusstraße bis zum mittleren Treppenhaus an der Diesterwegstraße erstreckte, nach den Plänen des Plauener Stadtbauamtes fertiggestellt. Er umfasste 30 Klassenräume, zwei Kombinationszimmer, Fachräume für Physik, Zeichnen und Handarbeiten sowie entsprechende Funktionsräume. Das Schulhaus wurde allen damaligen Anforderungen an eine moderne Schule gerecht, so dass es Oberbürgermeister Dr. Johannes Ferdinand Schmid voller Stolz an den neu berufenen Schuldirektor Dr. Ewald Weller übergeben konnte. Dennoch war die Freude über das Erreichte getrübt, da sich wenige Wochen vor dem feierlichen Weiheakt eine massive Protestbewegung der Eltern gebildet hatte, die sich „gegen die Schule am Rande der Stadt“ und die „viel zu weiten Schulwege“ der Kinder richtete. Doch die engagierte Arbeit des aus 22 Männern und 7 Frauen bestehenden Lehrerkollegiums mit den etwa 600 Schülern – ein Teil von ihnen war bereits seit 1908 vorübergehend im Gebäude der (späteren) Mosenschule nach dem Lehrplan der höheren Bürgerschule unterrichtet worden – ließ die Vorbehalte langsam schwinden. Dazu trug auch der 1913/14 realisierte Anbau des Gebäudeteils B mit weiteren 12 Klassenräumen bei, der noch bessere Unterrichtsbedingungen schuf. Auf Grund des sächsischen Übergangsgesetzes für die Volksschulen vom 22. Juli 1919 verlor die Höhere Bürgerschule ihren gehobenen Status. Sie wurde allen anderen Plauener Volksschulen gleichgestellt und unter der Bezeichnung 16. Bürgerschule die für den Schulbezirk zwischen Dittrich- und Sternplatz bis hin zum Neundorfer Kasernenviertel zuständige Volksschule. 1920 erhielt sie den Namen des bedeutenden deutschen Pädagogen Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg. Sie behielt ihre Struktur auch in den Jahren des Nationalsozialismus, während ihr Bildungsinhalt den Zielen der braunen Machthaber verpflichtet war. Am 19. März 1945 zwangen Bombenschäden zur Einstellung des Unterrichts. Nach nur notdürftiger Instandsetzung nahm die Schule am 1. Oktober 1945 ihre Arbeit wieder auf. Es war ein Neubeginn in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wurde ein antifaschistisch- demokratisches und später sozialistisches Bildungs- und Erziehungsziel erstrebt, zum anderen wurde die Diesterwegschule zu einer achtjährigen Grundschule umgestaltet, die für alle Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren obligatorisch war. Neu waren auch Teile der Schülerschaft, zu der fortan auch Schüler der total zerstörten Krauseschule sowie zahlreiche Flüchtlingskinder gehörten. Vor allem aber waren viele Lehrkräfte neu, die anstelle der aus politischen Gründen entlassenen Lehrkräfte eingestellt worden waren. Die meisten „Neulehrer“ stellten sich ihrer neuen Aufgabe mit ganzer Kraft. Tagsüber Unterricht, abends Fernstudium zur eigenen Qualifizierung – so sah jahrelang ihr Arbeitspensum aus, das sie trotz aller Entbehrungen mit Erfolg bewältigten. 1959 wurde die Diesterweg-Grundschule zur zehnklassigen polytechnischen Oberschule. Sie bestand bis 1990 und blieb bis zu ihrer Auflösung im Schulhaus an der Diesterwegstraße. Seit Ostern 1912 beherbergte das Schulhaus noch eine zweite Bildungsstätte, die neu gegründete Höhere Mädchenschule. Sie führte in einem sieben-, später sechsjährigen Lehrgang zu einem mittleren Bildungsabschluss Mit der Leitung der HM – wie viele Plauener die Schule kurz nannten – wurde ebenfalls Dr. Weller betraut, und auch ihr Lehrkörper rekrutierte sich zunächst weitgehend aus dem Kollegium der Zweiten Höheren Bürgerschule. Eigentlich sollte die HM bald ein eigenes Schulhaus erhalten, doch der Erste Weltkrieg und seine Folgen machten diese Pläne zunichte. So wurde das keineswegs konfliktfreie Nebeneinander zweier Schulen in einem Haus zu einem Dauerzustand, der erst 1990 endete. Allerdings waren bereits seit 1918 die Kollegien beider Schulen strikt getrennt. 1927 wurde die HM um eine dreijährige Studienanstalt erweitert, die die Mädchen zum Abitur führte, doch die aufkommende Wirtschaftskrise ließen diesen Schultyp schnell wieder eingehen. Beständiger war die 1937 erfolgte Umwandlung der HM in eine Städtische Oberschule für Mädchen, die von vornherein auf einen achtjährigen Lehrgang zum Abitur angelegt war. Doch der Kriegsausbruch 1939, die sich häufenden „Dienste an der Heimatfront“ der Schülerinnen und schließlich das allgemeine Chaos in der weitgehend zerstörten Stadt im Schuljahr 1944/45 ließen das erstrebte Bildungsziel in weite Ferne rücken, bevor das Bombardement vom 19. März 1945 auch dieser Schule das Aus brachte. Auch für die Oberschule für Mädchen galten ab dem 1. Oktober 1945 die oben genannten drei Aspekte des Neubeginns: Inhalt, Struktur und Lehrkörper wurden entsprechend der politischen Ziele des antifaschistisch-demokratischen und später sozialistischen Aufbaus verändert. Die Oberschule, für deren Besuch vor allem Mädchen aus Arbeiterfamilien gewonnen wurden, verkürzte sich auf einen vierjährigen Lehrgang zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr. Die Unterrichtsinhalte waren zunehmend der marxistischen Ideologie verpflichtet, und der Lehrkörper bestand ebenfalls größtenteils aus Neulehrern. Die meisten qualifizierten sich über viele Jahre hindurch im Fernstudium und im Prozess der Arbeit. Schritt für Schritt erwarben sie sich die Anerkennung ihrer Schüler sowie der relativ wenigen älteren Kollegen, die im Schuldienst verblieben waren. Seit den fünfziger Jahren kamen immer mehr auch junge Lehrerinnen und Lehrer mit einer abgeschlossenen Hochschulbildung an die Schule. 1949 zog die Oberschule für Jungen, die bis dahin an der (heutigen) Friedensschule untergebracht war, in die Diesterwegstraße um. Die nunmehrige „Oberschule Plauen“ wechselte dann noch mehrmals ihren Namen. 1953 wurde sie zur „Diesterweg-Oberschule“ und 1960 zur „Erweiterten Oberschule 'Adolph Diesterweg'“, bevor sie dann 1974 aus vordergründig politischen Gründen nach Erich Weinert benannt wurde. In allen Jahren der DDR wurde der sozialistische Bildungs- und Erziehungsauftrag von Lehrern und Schülern mit hohem Einsatz realisiert. Das führte einerseits zu respektablen Schülerleistungen, andererseits aber auch zu einseitiger ideologischer Erziehung im Sinne der SED. Nicht wenige Schüler und auch manche Lehrer entzogen sich dieser Intoleranz gegenüber anderen Meinungen durch „Sprechen mit zwei Zungen“, einige erhielten politisch motivierte Disziplinarstrafen. Seit 1990 ist das Schulhaus an der Diesterwegstraße – inzwischen durch einen zweiten Anbau aus den siebziger Jahren erweitert – die Heimstätte des neu strukturierten Diesterweg-Gymnasiums. Mit seinem vorwiegend mathematisch-naturwissenschaftlichen Profil bereitet es die Klassen 5 bis 12 auf das Abitur vor. Weltoffenheit, Pluralismus der Meinungen, kritisches Lernen und Denken bestimmen heute die tägliche Arbeit der 64 Lehrerinnen und Lehrer und 650 Schülerinnen und Schüler. In den 100 Jahren seiner Existenz erfuhr das Schulhaus an der Diesterwegstraße manche dem politischen Geist der Zeit geschuldete Veränderung. Sie betrafen die Unterrichtsziele und -inhalte, sowie Struktur, Alter und Geschlecht der Schülerschaft. Stets waren es aber Schulen, deren Abschlüsse die der meisten anderen Schulen der Stadt überragten. So war das weithin sichtbare Schulhaus über viele Generationen hinweg für viele Jugendliche aus Plauen und Umgebung der prägende Ort zum Erwerb der Hochschulreife, der Startplatz in einen akademischen Beruf, der ihm Erfüllung brachte bzw. bringt. Das möge auch in den nächsten 100 Jahren so sein!