1928 - Einweihung der Plauner Oberrealschule
"Lang ersehnt und heiß erkämpft" - mit diesen Worten würdigte Oberbürgermeister Georg Lehmann am 28. März 1928 den Neubau der Plauener Oberrealschule. Und in der Tat bildete die Weihefeier den festlichen Abschluß eines mehr als fünfzehnjährigen Ringens um diese Schule, die nicht nur einen architektonischen Glanzpunkt in der Schullandschaft der Vogtlandmetropole darstellte, sondern auch der höheren mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung der Kinder und Jugendlichen bedeutend günstigere Voraussetzungen bot. Die Wurzeln dieses Baus reichten jedoch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Damals begann die rasch fortschreitende Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik Anforderungen an die Bildung der jungen Generation zu stellen, die von den herkömmlichen Gymnasien nicht mehr erfüllt werden konnten. Mathematik, Naturwissenschaften und moderne Fremdsprachen rüttelten immer stärker an der Vorherrschaft von Latein und Griechisch, die bislang als unverzichtbare Säulen jeglicher Bildung betrachtet wurden. Im Plauener Schulwesen wurde das erstmals 1854 deutlich, als dem Gymnasium eine Realschulabteilung angegliedert wurde. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erfolgte ein erster Versuch, eine neunjährige Realschulbildung bis zum Abitur zu verwirklichen. Die gleichzeitig einsetzende Wirtschaftskrise ließen dieses "Realgymnasium" aber schnell scheitern. Erfolgreicher war 1889 die Trennung der sechsjährigen Realschule vom Königlichen Gymnasium und ihre Etablierung als eigenständige Einrichtung im Schulhaus an der Syrastraße. Das war ein wichtiger Schritt zur weiteren Förderung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung der 10- bis 16jährigen Knaben. Seit 1896 vollzog sich im Schoße dieser Realschule ein zweiter Versuch, eine neunjährige Realschulbildung bis zum Abitur anzubieten. Dieses neuerliche "Realgymnasium" hielt am traditionellen Latein fest, gab aber den Naturwissenschaften und den modernen Fremdsprachen größeren Raum. 1909 bezogen diese Klassen als selbständige Institution das neu erbaute Schulhaus unterhalb des Bärensteins, die heutige Friedensschule. Doch die rasante Entwicklung auf naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet verlangte einen noch größeren Platz der Realien auf Kosten der alten Sprachen. Preußen genehmigte deshalb 1882 einen neuen Typ der höheren Schule, der Latein völlig aus dem Pflichtprogramm gestrichen hatte, dafür aber noch mehr Mathematik und Naturwissenschaften vermittelte. Unter der Bezeichnung "Oberrealschule" führte sie die Schüler in einem neunjährigen Lehrgang zum Abitur, das damals zunächst den Weg zu technischen Studiengängen öffnete. Sachsen verhielt sich in dieser Frage zögerlich und erlaubte erst 1908 die Gründung von Oberrealschulen. Kurz darauf nahmen solche Lehranstalten in Leipzig, Dresden und Chemnitz ihre Arbeit auf. Doch in Plauen tat sich nichts, und 1912 war die Vogtlandmetropole die einzige deutsche Großstadt, die keine Oberrealschule besaß. Nicht nur für Plauener Realschüler, sondern auch für Absolventen der sechsjährigen Realschule in Auerbach, Reichenbach und Oelsnitz bestand keine Möglichkeit, durch den Besuch der drei Oberklassen das Abitur im Vogtland zu erwerben. Sie mußten sich für den finanziell aufwändigeren Besuch einer Oberrealschule außerhalb der engeren Heimat entscheiden oder aber auf die Realisierung ihrer Bildungswünsche verzichten. Erst am 14. Oktober 1913 beschlossen die Plauener Stadtverordneten, ab Ostern 1914 jahrgangsweise die sechsjährige Realschule zur neunklassigen Oberrealschule aufzustocken, so dass 1917 die ersten Abiturienten zu erwarten waren. Dieser Beschluß, der eine spürbare Lücke im Bildungsangebot Plauens und des gesamten Vogtlandes schloß, zog jedoch Konsequenzen hinsichtlich eines geeigneten Schulhauses nach sich. Das ehrwürdige, 1841 geweihte Gebäude an der Syrastraße war dafür zu klein, und es entsprach auch baulich nicht mehr den Anforderungen an einen modernen Unterricht. Überlegungen, die Schule durch verschiedene Umbauten zu erweitern, wurden deshalb ebenso schnell fallen gelassen wie die Idee, ein neueres Volksschulgebäude - im Gespräch war die (spätere) Mosenschule - zur Oberrealschule umzugestalten. Vielmehr plädierten die Stadtverordneten am 14. Oktober 1913 für einen Neubau, der vier Wochen später auch vom Kultusministerium genehmigt wurde. Am 9. Juni 1914 entschied das Stadtparlament über den Standort der Schule. Der Vorschlag, dafür ein Areal am Sternplatz zu wählen, wurde verworfen, weil sich in seiner Nähe mit dem Lehrerseminar, dem Gymnasium, der 2. Höheren Bürgerschule und der 11. Bürgerschule schon vier große Lehranstalten befanden. Auch die andere Idee, den Bauplatz an der Reißiger Straße / Ecke Rähnisstraße festzulegen, wurde abgelehnt, weil in unmittelbarer Nachbarschaft das alte Gaswerk lag. Dagegen fand der Standort zwischen Jößnitzer / Chamisso- / Schlachthof- und Reißiger Straße sehr schnell eine Mehrheit. Er war ruhig gelegen und auch günstig mit der Straßenbahn zu erreichen. Außerdem befand sich das knapp 11 000 qm große Baugrundstück schon seit 1894 in städtischem Besitz. Noch im Sommer sollte der erste Spatenstich erfolgen, doch der Ausbruch des 1. Weltkrieges ließ alle Pläne scheitern. Am 31. Dezember 1914 beschloß die Stadtverwaltung, den Bau "auf die Zeit nach dem Friedensschluß" zu verschieben. Die ließ aber vier Jahre auf sich warten, und sie sah nicht nur Plauen, sondern ganz Deutschland in einer völlig veränderten politischen und wirtschaftlichen Situation. An einen Schulbau dieses Ausmaßes war zunächst nicht zu denken. Erst nach dem Ende der Inflationszeit wurde wieder über die Realisierung des Beschlusses vom Juni 1914 nachgedacht. 1925 plädierten die Stadtverordneten nochmals für den Neubau der Oberrealschule. Allerdings mußte die Stadt dafür eine Anleihe aufnehmen, da sich die 1914 geplanten Baukosten von etwa 1 Million Mark inzwischen auf das Doppelte erhöht hatten. Im November 1925 begannen die Erdarbeiten, gut ein Jahr später war der Rohbau fertig, und bis zum März 1928 erhielt das für 800 Schüler konzipierte Gebäude seine Innenausstattung. 22 Klassenzimmer mit je 30 bis 36 Arbeitsplätzen, ein großer Unterrichtsraum für 72 Schüler sowie spezielle Räume für die Naturwissenschaften boten beste Lernbedingungen. Zwei Turnhallen und eine festlich gestaltete Aula standen für schulische Zwecke, aber auch für Vereine zur Verfügung. Auch äußerlich bildete das vom Plauener Stadtbaurat Wilhelm Goette entworfene Schulhaus mit seiner 85 m langen Hauptfassade an der Jößnitzer Straße und seinen 45 m bzw. 32 m langen Seitenflügeln entlang der Schlachthof- und Chamissostraße einen architektonischen Glanzpunkt der Stadt. Der Stolz auf das Geschaffene, den Oberbürgermeister Lehmann in seiner Weiherede zum Ausdruck brachte, hatte seine volle Berechtigung, und der Rektor der Oberrealschule, Oberstudienrat Prof. Dr. Johannes Zemmrich, versprach im Namen des Kollegiums, durch solide Unterrichtsarbeit die Kinder und Jugendlichen gut auf ein Studium naturwissenschaftlicher und technischer Disziplinen vorzubereiten. Doch bereits neun Jahre später verlor die Schule ihre ursprüngliche Bestimmung. Im Zuge der Neuorganisation des Schulwesens im nationalsozialistischen Deutschland wurde auch die Plauener Oberrealschule in eine Städtische Oberschule für Jungen umgestaltet, die nach völlig anderen Lehrplänen arbeitete. 1938 wurde die Schule nach Martin Mutschmann benannt, dem aus Plauen stammenden sächsischen NSDAP-Gauleiter, zwei Jahre später wurde sie Kriegslazarett und im 1944/45 durch Bomben schwer zerstört. Nach kompliziertem Wiederaufbau wurde das Gebäude im September 1950 als "Thälmann-Schule" eröffnet, die zunächst als achtklassige Grund- und später zehnklassige polytechnische Oberschule die Bildungsstätte für alle Kinder im Stadtteil Preißelpöhl wurde. Nach einer umfassenden Rekonstruktion beherbergt das Gebäude seit 1992 das Lessing-Gymnasium.