1911-Der Neubau des Plauener Gymnasiums wird eröffnet

von Roland Schmidt

 
Die Neubaublöcke an der Freiheits-/ Ecke Pestalozzistraße in Plauen erregen heute keineswegs Aufsehen, und sie deuten auch nicht darauf hin, dass sich hier einst das "geistige Zentrum des Vogtlandes" befand. Vor 90 Jahren, am 30. September 1911, wurde hier der Neubau des Königlichen Gymnasiums eingeweiht. Er beherbergte die damals einzige zum Abitur führende Bildungsstätte des Vogtlandes. Ihre Gründung geht auf das Jahr 1319 zurück, und im Laufe der Jahrhunderte hatte sie eine sehr wechselvolle Entwicklung genommen, die von Erfolgen, aber auch derben Rückschlägen, ja sogar von drohender Schließung (1837) geprägt war. Dank des tatkräftigen Einsatzes vieler Vogtländer in politischen Gremien, zahlreicher Förderer aus der Wirtschaft und nicht zuletzt durch die aufopferungsvolle Arbeit tüchtiger Rektoren und Lehrer hatte das Plauener Gymnasium nicht nur allen Existenzbedrohungen widerstanden, sondern auch jene Leistungsfähigkeit erreicht, die 1888 die Aufwertung zum Königlichen Gymnasium ermöglichte. Ein wichtiges Problem blieb aber die gesamte Zeit ungelöst: seit seiner Gründung verfügte die Plauener Hohe Schule über völlig unzureichende Unterrichtsräume. Beinahe 500 Jahre lang war sie in bescheidenen kirchlichen Räumen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Johanniskirche untergebracht. Der von Superintendent Tischer 1815 initiierte Umzug in das Landrocksche Haus am Schulberg 4 verbesserte zwar die räumlichen Bedingungen der Schule wesentlich, doch auch dieses "Vogtländische Kreisschulhaus" erwies sich sehr schnell als zu klein. 1854 siedelte das Gymnasium in das Gebäude der früheren Gewerbeschule in der (heutigen) Seminarstraße über. Doch auch dort ging es eng zu, und selbst ein Erweiterungsbau brachte 1874 keine Lösung der räumlichen Probleme. Als 1889 die Realabteilung das Gymnasium verließ und in die Schule an der Syrastraße zog, hatten die Gymnasiasten zwar mehr Platz zur Verfügung, doch die schultechnischen und hygienischen Mängel der Gymnasialgebäude wurden immer offensichtlicher. Wiederholte Vorsprachen der Schulleitung und der Stadtverwaltung beim zuständigen Schulträger, dem Königlichen Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, brachten keine Änderung. 1903 hatte sich Rektor Prof. Dr. Konstantin Angermann mit einer Eingabe an das Ministerium gewandt, in der er die kritikwürdigen Zustände auflistete: das Fehlen einer Zentralheizung und einer Aula, der mangelhafte Zustand der Fenster, die unzureichenden Lichtverhältnisse in allen Unterrichtsräumen, die überholten Toiletten und die fehlenden Waschräume, die Unzulänglichkeit der naturwissenschaftlichen Unterrichts- und Sammlungsräume sowie des Bibliothekszimmers, die Verteilung der Schule auf drei Gebäude und das dadurch bedingte Laufen über den Hof bei Wind und Wetter. Angermanns Forderungen hatten eigentlich nur darauf gezielt, wenigstens einen kleinen Teil der Mängel durch entsprechende Bauarbeiten abzustellen. Doch das Königliche Landbauamt sah keine Möglichkeit, die bestehende Bausubstanz zu einer modernen Bildungsstätte aufzuwerten. Das rief wieder die Stimmen für einen Neubau auf den Plan, und sie fanden auch in Dresden Gehör. 1907 bewilligte der Sächsische Landtag erst 200 000 Mark und dann noch einmal 489 000 Mark für den Neubau des Plauener Gymnasiums. Die Stadt Plauen half, ein geeignetes Baugrundstück zu finden. Dafür bot sich die 9784 m² große ehemalige Triquardtsche Gärtnerei neben dem Lehrerseminar (heute Polizeidirektion) an. Dieser Bauplatz war - wie es in einer zeitgenössischen Quelle hieß - "wohl der günstigste, der für die fraglichen Zwecke bei Aufwendung angemessener Mittel in der inneren Stadt zu finden war." Die Stadt tauschte das Grundstück gegen das Gelände des alten Gymnasiums mit dem Kultusministerium, dem zuständigen Bauherrn. Gleichzeitig erhielt das Königliche Landbauamt den Auftrag, die archtektonischen Entwürfe zu erarbeiten. Sie wurden im Januar 1909 dem Landtag vorgelegt und von diesem bestätigt. Zwei Monate später erfolgte der erste Spatenstich. Der schnelle Arbeitsbeginn war möglich, weil infolge der winterlichen Flaute im Bauwesen viele Arbeitskräfte zur Verfügung standen, und auch beim Roh- und Ausbau des Gebäudes setzte man vor allem auf den Fleiß Plauener Handwerker. Mit kleinen Losen wurden viele Gewerbetreibende der Stadt und der Region in den Schulbau einbezogen, so dass die geplante Bauzeit ein halbes Jahr unterboten werden konnte. Das Ergebnis war ein wahres Schmuckstück. Ecke Blücher-(heute Freiheits-)/Pestalozzistraße erhob sich der dreigeschossige Mittelbau, in dem sich die zentralen Einrichtungen der Schule befanden. Im ersten Stock waren das Amtszimmer des Rektors und das Lehrerzimmer untergebracht, und der dritte Stock beherbergte die Bibliothek sowie einen Lese- und Zeichensaal. Im zweiten Obergeschoss befand sich der große Festsaal, das Glanzstück der Schule. Beiderseits des Mittelbaus erstreckten sich Flügelbauten, die die Unterrichtsräume beherbergten. Im nordöstlichen Flügel längs der Pestalozzistraße waren die Klassenräume untergebracht, während die naturwissenschaftlichen Unterrichtsräume und Lehrmittelzimmer im südwestlichen Flügel an der Blücherstraße Aufnahme gefunden hatten. Die Turnhalle lag an der Ecke zur Dittesstraße. Ein 2000 m² großer Turnplatz und ein ansehnlicher Schulgarten ergänzten die Einrichtungen der Schule, die nach den damals modernsten Gesichtspunkten gestaltet worden war. Das Plauener Gymnasium hatte endlich ein Schulgebäude, das seinen Ansprüchen als "geistiges Zentrum des Vogtlandes" - so Rektor Prof. Dr. Heyden in seiner Festansprache - gerecht werden konnte. Die Freude darüber war groß, und die feierliche Einweihung des neuen Hauses war ein Ereignis, an dem die gesamte Region Anteil nahm. Doch das Schulgebäude stand nur knapp dreieinhalb Jahrzehnte. Die Bombenangriffe auf Plauen ließen 1945 auch vom Gymnasium nur noch eine Ruine zurück.