13. November 2010: Vor 75 Jahren starb Gymnasialoberlehrer Hermann Reinstein

von Roland Schmidt

 
Groß war die Zahl der Trauernden, die sich an einem trüben Novembertag 1935 auf dem Plauener Friedhof I eingefunden hatte. Sie erwiesen einem Manne die letzte Ehre, der mit seinem markanten weißen Bart nicht nur eine stadtbekannte Persönlichkeit war, sondern sich in einem nahezu siebzigjährigen Wirken um die Stadt Plauen und das gesamte Vogtland hoch verdient gemacht hatte: Hermann Reinstein, der am 13. November 1935 im 92. Lebensjahr verstorben war. Er war kein gebürtiger Vogtländer, sondern kam am 4. Mai 1844 in Kindelbrück bei Sömmerda zur Welt. Nach seiner Ausbildung am Lehrerseminar Nossen trat er 1863 in Glauchau und danach in Zwickau in den Schuldienst, bevor er 1872 als Zeichenlehrer ans Plauener Gymnasium berufen wurde, dem damals noch das (spätere) Realgymnasium angeschlossen war. In dieser Funktion wirkte Reinstein vier Jahrzehnte mit großem Erfolg. Ein „vielseitiges Lehrgeschick, ein sonniger Humor und ein goldenes Herz“- mit diesen Worten erinnerten sich später viele Schüler an ihren Kunsterzieher. Mit seinem hohen didaktisch-methodischen Können verstand er es meisterhaft, seine Schüler für das Zeichnen und Malen zu begeistern. So forderte er sie ganz im Sinne reformpädagogischer Neuerungen auf, nach der Natur zu zeichnen. Er schulte sie, das Sehen zu lernen, denn – so schrieb er in einem seiner Aufsätze – nur ein geübtes Auge kann den Zauber und die Geheimnisse der Natur ergründen, um sie anschließend künstlerisch zu gestalten. Im gleichen Sinne lehrte er sie das Erfassen der Perspektive und ihre bildnerische Umsetzung. Aber Hermann Reinstein gab seine Kenntnisse und sein Können nicht nur an die Schüler des Gymnasiums und Realgymnasiums weiter, sondern auch an kunstinteressierte Laien. So hielt er in Plauen wiederholt öffentliche Vorträge zur „Malerischen Perspektive“, und in zahlreichen Aufsätzen regte er Bürger aller Altersgruppen zu eigenen Versuchen an, die Welt künstlerisch zu erfassen. Mag der objektive Wert des erzielten Ergebnisses auch gering erscheinen, führte er aus, so sei der subjektive Gewinn für den sich versuchenden „Künstler“ in jedem Falle hoch einzuschätzen, denn er setzte sich aktiv mit der Natur und Umwelt auseinander, er schärfte sein Auge und lernte kritischer zu urteilen. Ratschläge dieser Art erteilte er besonders gern den Freunden, die mit ihm seine zweite Leidenschaft teilten: das Bergsteigen. Von frühester Jugend zog es Hermann Reinstein in die Berge, vor allem in die Alpen. 1873 war er einer der Mitbegründer des Deutsch-Oesterreichischen Alpenvereins, und ein Jahr später initiierte er maßgeblich die Bildung der Sektion „Erzgebirge-Vogtland“ dieses Vereins. Er unternahm zahlreiche Bergtouren, wobei ihm die Zillertaler Alpen besonders anzogen, wo 1899 auch die „Plauener Hütte“ eingeweiht wurde. „Der Alte vom Berge“ - so nannten ihn achtungsvoll seine jüngeren Bergkameraden, denn bis ins hohe Alter war Hermann Reinstein in den Alpen unterwegs, wobei neben dem Pickel stets auch Zeichenblock und Stift und immer mehr auch der Fotoapparat zur unverzichtbaren Ausrüstung zählten. Viele seiner faszinierenden Bergbilder zeigte er in gut besuchten Lichtbildervorträgen. Besondere Verdienste hatte sich Hermann Reinstein um den Brandschutz im Vogtland erworben. Bereits als junger Lehrer in Zwickau hatte er mehrere schwierige Feuerwehreinsätze geleitet. Nach der erfolgreichen Prüfung als Branddirektor (1870) war seine Versetzung nach Plauen mit einem wichtigen „Nebenauftrag“ verbunden: Er sollte das Feuerlöschwesen im gesamten Vogtland verbessern. Dieser Aufgabe widmete sich Reinstein mit großem Erfolg, unter seiner Regie bildeten sich in vielen Städten und Dörfern freiwillige Feuerwehren. Besondere Freude bereitete ihm aber der Aufbau leistungsstarker Feuerwehrgruppen am Plauener Lehrerseminar und in der „VOMAG“. Schließlich setzte sich Reinstein zeitlebens für den Naturschutz und die Pflege der deutschen Sprache ein, wobei seine Liebe zu den verschiedenen deutschen Mundarten dazu keineswegs im Widerspruch stand. Ob Oberbayerisch oder Plattdeutsch, Schwäbisch oder Vogtländisch – Reinstein imitierte oder sprach sie alle gekonnt und würzte damit nicht selten seinen Unterricht und viele seiner Vorträge. Mit Hermann Reinstein verloren die Stadt Plauen und das gesamte Vogtland einen Pädagogen, der bis ins hohe Alter mit der Jugend jung geblieben war und sie für die Natur und die Kunst zu begeistern vermochte. Sie verloren mit ihm eine Persönlichkeit, die sich selbstlos für andere Menschen einsetzte und ihnen stets zugetan war.