Vor 100 Jahren: Margaretentag für einen guten Zweck

von Roland Schmidt

 
Das Wetter war alles andere als frühlingshaft, denn Regen, Schnee und scharfer Wind luden keineswegs zum Flanieren ein, und doch wurde der 25. März 1911 zu einem Tag, der für immer in die Annalen der Stadt eingegangen ist. Nach dem Beispiel anderer deutscher Städte beging Plauen einen „Margaretentag“. In der Symbolik der Blumen gilt die Margarite als Zeichen der Barmherzigkeit, und diese Blume beherrschte an jenem Tag das Stadtbild. Häuser und Schaufenster waren mit Margariten geschmückt, viele Bürger hatten sie ans Kleid oder ans Revers gesteckt und die Mädchen trugen Margaritenkränze im Haar. Im ganzen Stadtgebiet gab es Stände, an denen Margariten verkauft wurden. Meist waren es künstliche Blumen, aber auch ihre natürlichen Vorbilder waren zu haben. Sie kosteten etwas mehr als üblich, doch der Aufpreis wurde gern gezahlt, denn er diente einem guten Zweck: dem Bau eines Heimes für sittlich gefährdete Kinder. Die Anregung dazu kam vom Plauener Hilfsschuldirektor Johannes Delitsch. Er hatte1908 in der rasant wachsenden Vogtlandmetropole den Verein „Jugendfürsorge“ gegründet, der sich den Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher zu Aufgabe machte. Von Anfang an plante der Verein, für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren, die in schwerkriminelles Milieu abzugleiten drohten, ein eigenes Heim zu errichten. Erstmals für Plauen hatte diese Forderung um 1880 der bekannte Volksschuldirektor Friedrich Krause erhoben, aber erst knapp 30 Jahre später hatte Johannes Delitsch die Stadtväter für dieses Projekt gewinnen können, dessen Realisierung angesichts zunehmender sozialer Probleme in vielen Familien immer dringlicher wurde. 1908 stellte die Stadt dem Verein dafür kostenfrei in Reusa ein Baugelände (heute steht an dieser Stelle das Gebäude der Neuapostolischen Gemeinde) sowie 11 500 Mark als Sockelbetrag zur Verfügung. Den Hauptteil der Kosten aber – rund 70 000 Mark – hatte der Verein selbst aufzubringen. Aus eigener Kraft war das nicht zu schaffen, und so begeisterte Johannes Delitsch den Plauener Oberbürgermeister Dr. Johannes Ferdinand Schmid für die Idee, einen „Margaretentag“ durchzuführen. Auf vielfältige Art forderten sie die Bürger der Stadt, die Betriebe, Kaufhäuser, Einzelhandelsgeschäfte und Gaststätten zur aktiven Teilnahme auf, und sie wurden nicht enttäuscht. Am 25. März 1911 war die Stadt von einem regelrechten „Margaretenfieber“ befallen. Im Theater und in allen Festsälen der Stadt gab es gab es gut besuchte Veranstaltungen und die Gaststätten lockten mit Kleinkunstprogrammen. Der Reinerlös floss auf das Konto des geplanten Kinderheimes. Gleiches geschah mit den Geldspenden zahlreicher Betriebe oder des Kaufhauses Tietz, das 10 % der Tageseinnahmen dieses Sonnabends spendete, und auch die Straßensammlung vieler freiwilliger Helfer erbrachte eine ansehnliche Summe. Das erzielte Ergebnis des „Margaretentages“ übertraf alle Erwartungen, denn das für das Kinderheim benötigte Geld kam zusammen! Schon am nächsten Tag konnten deshalb an der Reusaer Straße die Bauarbeiten beginnen. Am 20. Oktober 1911 wurde das Kinderheim als „Friedrich-Krause-Stift“ geweiht, und Johannes Delitsch wurde sein pädagogischer Leiter. Innerhalb weniger Tage war es mit 35 Kindern und Jugendlichen voll belegt, und zum 20-jährigen Bestehen (1931) konnte das Friedrich-Krause-Stift bereits auf insgesamt 334 Zöglinge verweisen, die nach einem längeren Aufenthalt als gefestigte Persönlichkeiten ihren Weg ins Leben fanden.