Franz Moritz Kirbach zum 100. Todestag

von Roland Schmidt

 
Die Trauerfeier in Plauen Anfang Februar 1905 vereinte alle, die in der Stadt Rang und Namen hatten: Oberbürgermeister, Stadträte, Amtshauptmann, Landgerichtspräsident, Rechtsanwälte, Unternehmer, Lehrer... Die Liste ließe sich fortsetzen. Sie erwiesen einem Mann die letzte Ehre, der einen ungewöhnlichen Lebensweg genommen und für die Stadt und das gesamte Vogtland Bedeutsames geleistet hatte: Franz Moritz Kirbach, der - knapp 80jährig – am 31. Januar 1905 gestorben war. Wer war Moritz Kirbach, was verschaffte ihm seine nicht alltägliche Biographie? Franz Moritz Kirbach stammte aus dem mittelsächsischen Leisnig, wo er am 18. April 1825 als Sohn eines Leinewebers zur Welt gekommen war. Seine Kindheit verlebte er aber hauptsächlich bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Pegau. Dort besuchte er auch die vierklassige Volksschule, wo er durch seine geistige Begabung auffiel. Was das Elternhaus nicht zu leisten vermochte, geschah durch vermögende Gönner Pegaus. Sie gewährten dem Knaben ein kleines Stipendium und ermöglichten ihm so eine akademische Laufbahn. Von 1839 bis 1844 besuchte er die Leipziger Thomasschule, die er mit der besten Abiturnote abschloss, und anschließend schrieb er sich für ein Jurastudium an der Universität der Messestadt ein. Auch das ging ihm leicht von der Hand, so dass er im März 1848 mit großem Erfolg sein erstes juristisches Examen ablegen konnte. Doch Moritz Kirbach hatte in der vierjährigen Studienzeit nicht nur die Gesetzbücher und ihre Auslegung studiert, sondern sich auch politischen Strömungen seiner Zeit nicht verschlossen. Vor allem die von Robert Blum in Leipzig öffentlich vertretenen liberalen Ideen begeisterten ihn, und bald begann Kirbach, im gleichen Sinne zu reden und zu schreiben. Noch vor seiner ersten Staatsprüfung wurde ihm deshalb der Verweis von der Universität angedroht, so dass er Vorsicht walten lassen musste. Nach dem Examen gab es für ihn jedoch keine Bedenken mehr. In Chemnitz übernahm er die Redaktion des „Chemnitzer Tageblattes“ und der „Sozialrepublikanischen Blätter“, und mit seiner Zielsetzung „Durchführung der reinen Demokratie und Erstrebung der Republik“ goss er Öl in das revolutionäre Feuer. Im Herbst 1848 gab er neben seiner täglichen Arbeit in einer Schneeberger Anwaltskanzlei die Zeitschrift „Die Sonne“ heraus, außerdem trat er in vielen Orten als Redner auf. Am 8. November 1848 hielt er in der Chemnitzer Johanniskirche eine Gedächtnisrede auf den von der Reaktion hingerichteten Robert Blum, und im Januar 1849 bekannte er sich ohne Wenn und Aber zur demokratischen Republik: „Wir wollen den wahrhaft freien Staat, in dem nur der Wille des Volkes gilt,“ rief er in Chemnitz aus. Dafür wollte er auch mit Waffen kämpfen, und so war es folgerichtig, dass er beim Dresdner Maiaufstand 1849 auf den Barrikaden zu finden war – mit Otto Heubner, Richard Wagner, Gottfried Semper und vielen anderen Gleichgesinnten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, doch im Unterschied zu Wagner und Semper, die ins Ausland flohen, unterschätzte Kirbach die Rache der Reaktion. Er ging wieder seinem Alltag in Schneeberg nach, bis er dort am 11. Juni 1849 verhaftet wurde. Es begann für ihn eine Zeit schwerster seelischer und körperlicher Qualen. Franz Moritz Kirbach blieb jedoch seiner politischen Überzeugung treu. Die reaktionäre Justiz fällte deshalb gegen ihn das Todesurteil, das ihm am 19. Februar 1852 verkündet wurde. Auf der Festung Königstein harrte Kirbach seines Henkers, gleichzeitig bemühte er sich, sein Leben zu retten. Er richtete ein Gnadengesuch an König Friedrich August II., „die Todesstrafe in eine zeitliche Freiheitsstrafe“ umzuwandeln. Es wurde erhört, und Kirbach wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus „begnadigt“, das er in Waldheim verbüßen musste. Zu täglich stupider Arbeit verpflichtet, blieb ihm jegliche geistige Tätigkeit verwehrt, dazu verursachten ihm miteinander verkettete Fußringe lebensgefährliche Wunden. Doch auch diese Qualen brachen Kirbachs Willen nicht. Es bedurfte deshalb Ende der fünfziger Jahre – die politische Großwetterlage in Sachsen war wieder etwas moderater geworden – einer massiven Überzeugungsarbeit seiner Freunde, Kirbach zu einem erneuten Gnadengesuch zu bewegen. Erst nach wiederholter Aufforderung schrieb er es – und hatte Erfolg. Nach insgesamt 10jähriger Haft kam er am 25. Juni 1859 frei. Doch er bekam noch nicht alle bürgerlichen Ehrenrechte zurück, und auch an eine eigene Anstaltskanzlei war noch nicht zu denken. Dazu fehlten ihm noch die zweite juristische Prüfung sowie die als Bedingung geforderte mehrjährige Erfahrung als Praktikant in einer Anwaltskanzlei. 1860 verwehrte ihm die Leipziger Anwaltskammer letztlich aus politischen Gründen die Zulassung zum zweiten juristischen Examen, so dass sich Kirbach erst als Expedient in Aue durchs Leben schlagen musste, bevor er wenige Monate später beim Plauener Rechtsanwalt Stimmel eine Anstellung fand. 1862 wurde ihm die Anwaltsprüfung gestattet, die er erfolgreich meisterte, doch für ein eigenes Büro reichten seine bisherigen Praktikumszeiten noch immer nicht aus. Mit großer Freude nahm deshalb Moritz Kirbach das Angebot an, in der neu gegründeten Handels- und Gewerbekammer zu Plauen als Sekretär (Geschäftsführer) zu arbeiten. Hier waren seine juristischen Fähigkeiten gefragt, und hier wurde er auch gebührend bezahlt. 34 Jahre lang – bis 1896 – blieb Moritz Kirbach in dieser Funktion, und er erlebte somit nicht nur hautnah den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Plauens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, sondern er gestaltete ihn auch selbst entscheidend mit. Er knüpfte vielfältige Wirtschafts- und Handelsverbindungen, er klärte juristische Sachverhalte der Unternehmen und er leistete vor allem durch seine umfassende Kenntnis der Finanz- und Steuerpolitik den Betrieben Plauens und des gesamten Vogtlandes unschätzbare Dienste. Die von ihm verfasste und 1875 in Plauen erschienene „Zusammenstellung der gegenwärtig gültigen gesetzlichen Bestimmungen über die direkte Besteuerung (Grundsteuer, Gewerbe- und Personalsteuer, Einkommenssteuer) im Königreich Sachsen“ ist dafür nur ein Beleg von vielen. Darüber hinaus vertrat Moritz Kirbach auch in den demokratischen Gremien ungebrochen seine liberalen Ansichten. Von 1871 bis 1899 war er – mit Unterbrechungen – Plauener Stadtverordneter, 1874/75 gar ehrenamtliches Ratsmitglied. Noch größere Wirksamkeit erreichte er jedoch in den Jahren 1873 bis 1891 als Abgeordneter des Wahlkreises Plauen – Pausa - Mühltroff in der II. Kammer des Sächsischen Landtages. Hier war er vor allem für die finanz- und steuerpolitischen Fragen zuständig. Anfangs gehörte er zum nationalliberalen Flügel des Parlaments – parteipolitische Fraktionen im heutigen Sinne gab es noch nicht. Da dieser aber immer mehr mit den Konservativen taktierte, wandte sich Kirbach – seiner Überzeugung stets treu bleibend – den Freisinnigen zu. Schließlich muss Kirbachs soziales Engagement gewürdigt werden. Das galt den Nöten der Armen in der Stadt, das galt aber vor allem den sächsischen Volksschullehrern. Sie fanden bei ihren wiederholten Kämpfen um eine gerechte Besoldung in Moritz Kirbach nicht nur einen Mann von hohem Sachverstand, sondern auch – wie die „Leipziger Lehrerzeitung“ in einem Nachruf schrieb – „eine Stelle, bei der sie für ihre Wünsche ein williges Ohr..., einen warmen Fürsprecher“ fanden. Der Plauener Lehrerverein dankte ihm das mit der Ehrenmitgliedschaft. So war die überaus große Teilnahme an der Trauerfeier für Moritz Kirbach nur zu verständlich. Die Stadt und das gesamte Vogtland hatten ihm viel zu verdanken. Gab es unmittelbar nach seinem Tode wenigstens ansatzweise in Plauen den Versuch, sein Andenken mit der „Kirbachstraße“ in der Neundorfer Vorstadt zu würdigen, so erinnert heute gar nichts mehr an Franz Moritz Kirbach. Das hat der Mann, der sein Leben lang seinen liberalen Überzeugungen treu war, nicht verdient. Tags: Kirbach, Leipzig