Ein Heimatbuch für die vogtländischen Schüler
Vor 75 Jahren war in den vogtländischen Buchhandlungen des öfteren die Auskunft "Ist leider vergriffen" zu hören. Die Frage des Kunden an den Buchhändler galt dem Heimatbuch "Unser Vogtland", das restlos ausverkauft war und dessen Neuauflage sehnlichst erwartet wurde. Das Buch hat eine bemerkenswerte Geschichte. 1893 hatte eine "Kommission Plauenscher Lehrer" unter dem Titel "Unser Vogtland" heimatkundliche Lese-stücke für die Schulen teils zusammengestellt, teils selbst geschrieben und in der Dürrschen Verlagsbuchhandlung Leipzig für nur 50 Pfennig auf den Markt gebracht. Diesem billigen Preis war die einfache Gestaltung des Buches geschuldet. Es besaß keinen festen Einband, und Zeichnungen oder Fotos fehlten aus Kostengründen ebenfalls. Dafür bot aber der Inhalt viel Lesenswertes über das Vogtland. Die erste Abteilung enthielt eine mehrseitige Einführung zur Geschichte und Geographie der Region, weitere Artikel beschrieben in bunter Folge unter anderem die Stadt Plauen, die Arbeit der Perlmuttfischer in Adorf und das Kaiserschloß in Mylau. Schließlich fehlten auch die bekannten Sagen vom Stelzenbaum und vom Lindwurm zu Kürbitz nicht in der Sammlung. Die Geschichten der zweiten Abteilung folgten Schritt für Schritt den wichtigsten Etappen der vogtländischen Geschichte, und am Ende des Buches standen die bekanntesten Gedichte Julius Mosens. Waren die einzelnen Texte auch oft zu lang und nur in wenigen Fällen kindgemäß verfaßt, so war das Buch dennoch ein voller Erfolg. Innerhalb kurzer Zeit waren die 3000 Exemplare der ersten Auflage verkauft, und die Arbeit der Plauener Lehrer unter Leitung von Direktor H. Kretzschmar galt bald als das "erste Heimatbuch in Sachsen", das Pädagogen in anderen Regionen des Königreiches zur Nachahmung anregte. Die große Nachfrage nach dem Buch war aber auch darauf zurückzuführen, dass die Texte nicht nur für Kinder, sondern auch für viele Erwachsene von Interesse waren. Die Autorengruppe entschloß sich deshalb sehr schnell zu einer zweiten Auflage. Dafür arbeitete sie zahlreiche kritische Hinweise zur ersten Auflage ein. Der Umfang des Buches wurde um einige Lesestücke ergänzt, und auch die graphische Gestaltung wurde verbessert. Ein Titelbild schmückte den Einband, und der Plauener Fotographenmeister Heinrich Axtmann stellte acht Aufnahmen vogtländischer Landschaften zur Verfügung. Diese zweite Auflage erschien bereits ein Jahr nach der ersten, und sie zählte ebenfalls 3000 Exemplare. Sie fand die gleiche Resonanz und war wiederum rasch vergriffen, so dass sehr bald - jeweils geringfügig überarbeitet - die dritte und vierte Ausgabe folgten. 1908 kam die fünfte Auflage heraus. Sie zeichnete sich gegenüber ihren Vorgängerinnen durch kürzere und damit kindgemäßere Texte aus, aber auch durch einige neu aufgenommene Artikel, vor allem zur Geschichte Plauens. Fünf Jahre später (1913) erschien dann die vorerst letzte Ausgabe der - wie es im Untertitel hieß -"heimatkundlichen Lesestücke für die Schulen des sächsischen Vogtlandes". Noch einmal hatten sich die Autoren um Direktor Kretzschmar - mittlerweile nur noch ein Sextett alter Herren - zu einer Überarbeitung entschlossen. Sie nutzten viele neue Quellen der heimatgeschichtlichen Forschung, und sie waren auch bemüht, die Artikel noch kindgemäßer zu gestalten. Dabei wurden sie vom Plauener Lehrerverein tatkräftig unterstützt, der mit einem Preisausschreiben zum Verfassen geeigneter Texte aufgerufen hatte. Die Dürrsche Verlagsbuchhandlung Leipzig hatte den Graphiker Paul Söllner, einen gebürtigen Vogtländer, als Schöpfer wertvollen Bildschmucks gewonnen. Die entscheidende Neuerung gegenüber der vorherigen Auflage des Buches war jedoch die Aufnahme eines mehrseitigen Anhanges, der zahlreiche Daten zur Geschichte und Geographie des Vogtlandes enthielt. Er informierte über die Gipfel des Erz- und Elstergebirges, über den Verlauf der Elster und ihre rechts- und linksseitigen Zuflüsse, über die wichtigsten Gesteinsarten und ihre Lagerstätten, über die Einwohnerzahlen der Städte und großen Dörfer, über die Erwerbszweige der Bevölkerung, über die geschichtliche Entwicklung des Vogtlandes und über bedeutende Persönlichkeiten der Region. Die Daten waren geeignet, konkretes Sachwissen zu vermitteln und damit der Heimatkunde eine solide Basis zu geben. Nach 1918 war - wie eingangs erwähnt - die Nachfrage nach dem Heimatbuch "Unser Vogtland" ungebrochen. Sie konnte jedoch vorerst nicht befriedigt werden, denn zum einen fehlten in der Nachkriegs- und Inflationszeit die dafür notwendigen materiellen und finanziellen Voraussetzungen, zum anderen war infolge der veränderten politischen Verhältnisse - Sachsen war Freistaat geworden - eine inhaltliche Neubearbeitung unausweichlich. Schließlich mußten auch neue Autoren gewonnen werden, da von den Verfassern der ersten Auflage kaum noch jemand lebte. Erst Ende der zwanziger Jahre nahm sich eine Arbeitsgruppe des Literarischen Ausschusses des Plauener Lehrervereins der Aufgabe an, eine Neuauflage des Buches zu konzipieren. Sie prüfte alle Texte auf ihre inhaltlichen und kindgemäßen Aussagen, und bei Wahrung der seit der ersten Auflage verfolgten Zielsetzung gestaltete sie etwa zwei Drittel der 170 Textseiten neu. Aus Sparsamkeitsgründen verzichteten die Autoren auf Graphiken, dafür nahmen sie 8 Fotos vom Vogtland - u.a. aus der neu entdeckten Drachenhöhle in Syrau - auf, und erstmals erschien das Titelblatt als Fünffarbendruck. Als diese 7. Auflage 1929 mit etwa 7000 Exemplaren erschien, war die Publikumsresonanz erwartet groß. Das Buch erfüllte nicht nur gegenüber den Kindern eine wichtige Bildungsfunktion, sondern auch viele Erwachsene lasen gern in ihm. Der Plauener Lehrerverein übersah jedoch auch nicht, dass die Texte in erster Linie nur die Stadt Plauen und ihre Umgebung betrafen. Er plante deshalb, gemeinsam mit den Lehrervereinen der anderen vogtländischen Regionen eine Darstellung zu erarbeiten, die tatsächlich das gesamte Vogtland repräsentierte. Die ersten Vorarbeiten dazu begannen Anfang der dreißiger Jahre, doch der Machtantritt der Nazis und das von ihnen verfügte Verbot des Plauener Lehrervereins ließ dieses Vorhaben sehr schnell scheitern.