Die Alte Akademie zu Meßbach

von Roland Schmidt

 
Eine Akademie in Meßbach? Man traut dem kleinen Dorf bei Plauen, neuerdings gar Stadtteil der Vogtlandmetropole, zwar einiges zu, doch den Ort als Heimstätte einer wissenschaftlichen Einrichtung zu sehen, übersteigt wohl doch unsere Phantasie. Dennoch gab es in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die "Alte Akademie" in Meßbach, wenn auch in einem selbstironischen Sinn. So nannte sich nämlich die Stammtischrunde Plauener Lehrer und ihrer Kollegen aus benachbarten Ortschaften, die sich regelmäßig mittwochs und sonnabends Nachmittag in Unteutschs Gasthof (in späterer Zeit als "Gasthof zur Sonne" bekannt) zusammenfand. Bei einer Tasse Kaffee und erforderlichenfalls bei einem Glas Wasser - Alkohol war tabu - pflegten sie Geselligkeit. Sie diskutierten über Gott und die Welt, auch über Probleme der täglichen Arbeit, und einige Lehrer mischten auch die Karten zu einem zünftigen Skat. Witz und Humor beherrschte die Szene, und ein "Übelnehmen" gab es nicht. Die beiden Wochentage boten sich dafür an, denn mittwochs und sonnabends wurde nur vormittags unterrichtet, die Nachmittage waren frei. Die Treffen verliefen inhaltlich ungezwungen, dennoch nach einem ungeschriebenen Zeitplan, denn pünktlich 18 Uhr traten die Teilnehmer wieder den Fußmarsch nach Hause an. Obwohl die Wirtin weder Bier noch Schnaps ausschenkte, brachte ihr diese gesellige Runde der Lehrer keineswegs finanzielle Einbuße, denn zu Weihnachten oder zu ihrem Geburtstag wurde sie von den Mitgliedern der "Alten Akademie" mit Geschenken bedacht, die die aufgewandte Mühe mehr als vergolten. Außerdem warb diese Lehrerrunde auch anderswo für die Gastlichkeit in Meßbach, zumal einige der beteiligten Herren im Vogtland nicht unbekannt waren. Das traf vor allem auf Johann Gottlieb Günnel zu, der als Lehrer an der Plauener Bürgerschule in der Syrastraße tätig war. Woche für Woche stand er 32 Stunden vor seinen Schülern, die ihn wegen seines abwechslungsreichen Unterrichts und seiner fesselnden Lehrererzählungen schätzten. Doch damit nicht genug. Der 1806 in Schönau bei Falkenstein geborene Günnel war lange Zeit an führender Stelle im "Vogtländischen Lehrerverein" aktiv, und seit 1854 zeichnete er - neben seinen Pflichten in der Schule - für den täglichen Leitartikel im "Vogtländischen Anzeiger" verantwortlich. Darüber hinaus war er als Autor von Reisebeschreibungen über verschiedene deutsche Landschaften, aber auch über das Morgenland, über Nordeuropa und Amerika einem breiten Leserkreis bekannt geworden. Auch an einer Gesellschaftsutopie hatte er sich versucht. Dieser Mann war belesen, und er hatte seinen Mitbürgern im echt lutherischen Sinne "aufs Maul geschaut", und so war es folgerichtig, dass sein Wort in der "Alten Akademie" etwas galt. Doch auch die anderen "Akademiemitglieder" bereicherten die gesellige Runde. So zählte der Oberlosaer Kantor Wilhelm Louis Köhler zu den eifrigsten Teilnehmern. Er stand seit 1823 im Schuldienst dieses Dorfes, zunächst als Hilfskraft seines Vaters Johann Peter Köhler, seit 1828 als ordentlicher Schulmeister. Vierzig Jahre im Beruf - was konnte er nicht alles erzählen. In seinen ersten Amtsjahren hatte er noch die Praxis erlebt, als Lehrer allein vom geringen wöchentlichen Schulgeld der Kinder existieren zu müssen, bevor 1835 eine zwar bescheidene, aber doch garantierte regelmäßige Besoldung der Lehrer eingeführt wurde. Er wusste von den Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung der Volksschule, die auch im Vogtland mit der Revolution 1848/49 gehegt wurden, und er kannte auch die Enttäuschung, die sich nach deren Scheitern auch vieler Lehrer bemächtigte. Ähnliches ließ sich auch vom Kirchschullehrer Karl Wilhelm Neydel sagen, der ebenfalls zu der Runde zählte. Er war seit 1853 in Taltitz tätig. Er war eng mit der Lehrervereinsbewegung verbunden und hatte sich darüber hinaus um die Förderung der Landwirtschaft im Vogtland verdient gemacht. Doch nicht nur die Volksschullehrer, sondern auch einige Professoren des Gymnasiums waren regelmäßig mit in Meßbach zu Gast. Sie standen zwar in Ansehen und Vergütung weit über den Volksschullehrern, doch in dieser Runde spielte das keine Rolle. Standesunterschiede hatten hier keinen Platz. Zu den Wortführern der "Alten Akademie" zählten auch zwei Geistliche, die Pastoren Wolf aus Taltitz und Spitzner aus Planschwitz. Ihnen oblag - wie allen Ortspfarrern - in ihren Dörfern neben ihrem seelsorgerischen Amt auch die Aufsicht über die Schule. Sie schätzten und achteten die Volksschullehrer. Sie fühlten sich in ihrer Mitte wohl, und sie gewannen aus den Diskussionen mit ihnen manch zusätzlichen Einblick in die schwierige Arbeit der Dorfschulmeister. Doch nicht nur ältere Herren kamen in Meßbach zusammen, auch jüngere Lehrer gesellten sich gern zu der "Alten Akademie". Sie lauschten mit Interesse den Gesprächen der Alten, doch sie brachten sich immer mehr auch selbst in die Diskussion ein. Einer von ihnen war damals noch ein unbeschriebenes Blatt, doch später wurde sein Name im gesamten Vogtland und weit darüber hinaus bekannt: Louis Riedel. Er hatte den kürzesten Weg, denn seine Wohn- und Arbeitsstätte - die Meßbacher Schule - war keine 100 Meter von Unteutschs Gasthof entfernt. Riedel stammte aus dem erzgebirgischen Gelenau und hatte 1867 die Stelle als Lehrer für die Meßbacher und Thiergartner Kinder angetreten. Die Diskussion mit seinen Amtsbrüdern, ob älteren oder jüngeren Jahrgangs, beförderten sein Einleben im Vogtland und sein Heimischwerden im Beruf. Sie lehrten ihn aber auch das Erkennen sozialer Probleme der einfachen Menschen, denen er später als bedeutendster Mundartdichter des Vogtlandes in seinen Werken ein bleibendes Denkmal setzte. So hatte die "Alte Akademie" zu Meßbach eine vielfältige Wirkung auf die Volksbildung im Vogtland. Gedacht als zwanglose Runde der Lehrer zur Pflege der Geselligkeit, wurde sie über diese Zielstellung hinaus zur Stätte des Erfahrungsaustausches, zur Pflanzstätte neuer Erkenntnisse und Ideen, die in die Schulstuben, aber auch in andere geistige Projekte einflossen. Getragen wurde sie maßgeblich von den älteren Herren, doch die jüngeren zogen daraus für sich und ihre tägliche Arbeit manchen Gewinn, und insofern trug die Meßbacher Stammtischrunde ihren akademischen Titel zu Recht.