Der Montanwissenschaftler und Mathematiker J.G. Steinhäuser

von Roland Schmidt

 
„Herrn Advokat Steinhäuser nach Plauen“ – unter dieser Anschrift erreichten in den Jahren 1799 und 1800 mehrere Briefe aus Weimar die Stadt an der Weißen Elster, und der Absender war kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe. Empfänger der Schreiben war der Plauener Rechtsanwalt und Bergbauspezialist Johann Gottfried Steinhäuser, mit dem sich Goethe über Probleme des Erdmagnetismus austauschte. Sein spezieller Wunsch an Steinhäuser galt der Anfertigung magnetischer Eisen und Auskünften zu ihrer Wirksamkeit. Er wurde von dem Vogtländer erfüllt. Goethe erhielt die Magnete und überwies dafür 17 Reichstaler nach Plauen. Steinhäuser bedankte sich dafür und teilte dem Dichter sein Bedauern mit, sich in Plauen nicht wie gewünscht der weiteren Erforschung des Erdmagnetismus widmen zu können. Dafür stünden ihm weder genügend Fachliteratur noch kundige Gesprächspartner zu Verfügung. Er hoffe aber, bald einmal in der Weimarer Bibliothek arbeiten zu können, und eine persönliche Begegnung mit dem Herrn Geheimrat sei ihm bei dieser Gelegenheit besonders willkommen. Beide Wünsche erfüllten sich offenbar nicht, doch das minderte das Lebenswerk Johann Gottfried Steinhäusers keineswegs. Die Familie Steinhäuser spielte in der vogtländischen Geschichte keine unbedeutende Rolle. Die ursprünglich adligen Vorfahren waren im Zuge der Reformation aus Kärnten ausgewandert, und einer ihrer Zweige ließ sich in Plauen nieder. Die Neuankömmlinge legten ihren Adel ab, traten dafür aber bald mit geistigen Leistungen hervor. Im 17. Jahrhundert waren „Steinhäusers“ als Vizestadtvogt und Rechtsanwälte in Plauen tätig, im 18. Jahrhundert fungierte ein Nachfahre als Gerichtsinspektor, aus der Familie gingen mehrere Pastoren hervor, und schließlich wirkte in Plauen der Schriftsteller, Philosoph und Kurfürstlich Sächsische Rat Johann Gottfried Steinhäuser (1736 – 1815), der gleichnamige Vater von Goethes Briefpartner. Seine Frau Rebecca war die Tochter des ebenfalls in Plauen tätigen Rechtsanwalts Johann Christoph Schlegel. Johann Gottfried Steinhäuser d.J. war das erste von neun Kindern seiner Eltern. Er wurde am 20. September 1768 in Plauen geboren. Bereits als Knabe interessierte er sich für naturwissenschaftliche Experimente, was durch den ursächlichen Gründer der Gösselschen Kattunfabrik namens Neumeister wohlwollend gefördert wurde. Wenn der Junge im „chemischen Labor“ dieser Fabrik weilen konnte, vergaß er die Welt. Darüber hinaus sammelte er mit großem Eifer Steine und Pflanzen seiner Heimat. Seine Leistungsfähigkeit ließ ihn im Plauener Lyceum ganze Klassen überspringen, und mit 12 Jahren bezog der Junge die Fürstenschule in Schulpforta bei Naumburg. Doch nicht die alten Sprachen, der eigentliche Schwerpunkt der hohen Schule, zogen ihn an, sondern die mehr „nebenbei“ gelehrte Mathematik, für die ihn Magister Schmidt begeisterte, der „mathematicus“ der Bildungsstätte. Bald wurde Steinhäuser der „famulus“ (Gehilfe) seines Lehrers, doch er studierte auch auf eigene Faust mathematische Werke und verblüffte des öfteren seine Mitschüler und Lehrer durch den Bau naturwissenschaftlicher Geräte. Sogar an der Konstruktion eines Heißluftballons versuchte er sich. 1787 schloss Johann Gottfried Steinhäuser die Ausbildung in Schulpforta ab. Er kehrte für kurze Zeit nach Plauen zurück, um sich dann dem Wunsche des Vaters entsprechend auf einen praktischen Beruf vorzubereiten. Für etwa ein Jahr studierte er an der Bergakademie Freiberg Montanwissenschaften, ab 1788 widmete er sich in Wittenberg der Rechtswissenschaft. Dank seines Intellekts meisterte er die Anforderungen ohne Schwierigkeiten, doch sein Herz schlug für den Bergbau. So lehnte er 1792 das Angebot des Vaters ab, in dessen Plauener Kanzlei als Rechtsanwalt einzutreten. Stattdessen ging er ins Rheinland, um seine bergmännischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das gelang ihm nachhaltig mit dem Auffinden einer ertragreichen Erzader für Quecksilber in der Pfalz. Doch die Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch französische Truppen im Sommer 1794 machte alle auf dem Bergbau beruhenden Zukunftspläne zunichte. Er plante, nach Amerika auszuwandern, sein Vater bestand aber auf seiner Rückkehr nach Plauen. Die folgenden Jahre verbrachte Steinhäuser als Privatgelehrter im Vogtland. Die Juristerei betrieb er zum Lebensunterhalt, doch seine Liebe galt den Naturwissenschaften und der Mathematik, und ihnen widemete er seine ganze Freizeit. Er arbeitete zum Erdmagnetismus und erregte damit nicht nur Goethes Aufmerksamkeit, zugleich studierte er in seltener Gründlichkeit mathematische Werke von Euklid bis Newton und Leibniz. Er verfasste mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze, die seine Aufnahme in die „Naturforschende und mineralogische Gesellschaft zu Jena“ und die Ehrenmitgliedschaft in der „Leipziger Ökonomischen Sozietät“ bewirkten. Sein auch Goethe gegenüber geäußerter Wunsch, einen fürstlichen Mäzen als Sponsor größer angelegter Forschungsexperimente zu gewinnen, erfüllte sich jedoch nicht. Erst 1806 änderte sich Steinhäusers Situation, als ihm die Universität Wittenberg eine Professur für Mathematik anbot. Er nahm die Stelle an. Die Qualität seiner Vorlesungen zog nicht nur die Studenten an, sondern auch in Wittenberg stationierte Offiziere der napoleonischen Truppen, die dort – wie überall in Sachsen und Preußen – nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt als Bessatzungsmacht fungierten. Der gute Kontakt zu den Franzosen brachte der Wittenberger Universität manche Vorteile und sicherte Steinhäuser ein relativ ruhiges wissenschaftliches Arbeiten. In dieser Zeit verfasste er seine grundlegenden Arbeiten zum Erdmagnetismus, auf die spätere Forschungen erfolgreich aufbauen konnten. Als 1815 infolge der Beschlüsse des Wiener Kongresses Sachsen etwa 60 Prozent seines Territoriums an Preußen abtreten musste, bedeutete das auch das Ende der Universität Wittenberg, und Steinhäuser stand wieder vor dem Nichts. Entgegen seiner früheren Bekundungen, nicht mehr außerhalb Sachsens arbeiten zu wollen, sah er sich nun gezwungen, eine Professur für Montanwissenschaften an der im Preußischen gelegenen Universität Halle anzutreten. Er lehrte zwar wieder seine ursprüngliche wissenschaftliche Disziplin, doch so recht glücklich wurde er in der Saalestadt nicht. Zum einen war das der in Deutschland nach den „Karlsbader Beschlüssen“ (1819) einsetzenden Restaurationsplolitik geschuldet, die auch an den Universitäten alle demokratischen und liberalen Bestrebungen unterdrückte, zum anderen seiner zunehmenden Anfälligkeit für Krankheiten. Die jüngste Schwester übernahm die Pflege des unverheiratet gebliebenen Bruders. Doch die Hofnungen auf eine Besserung des Gesundheitszustandes erfüllten sich nicht. Nach wiederholten Schlaganfällen verstarb Johann Gottfried Steinhäuser am 16. November 1825 in Halle. Der gebürtige Plauener Johann Gottfried Steinhäuser ist heute leider nahezu vergessen – sehr zu Unrecht, denn er galt als einer der bedeutendsten Montanwissenschaftler und Mathematiker seiner Zeit.