Vor 180 Jahren wurde die Plauener Sonntagsschule eröffnet

von Roland Schmidt

 
„Eine Sonntagsschule in Plauen? Wurde denn früher auch sonntags unterrichtet, wer ging in diese Schule?“ Zugegeben, diese etwas ungläubigen Fragen nach der Existenz einer Sonntagsschule haben ihre Berechtigung. Doch es gab sie wirklich, und ihre Rolle für die Entwicklung der Stadt, für die Entfaltung ihrer wirtschaftlichen Kraft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eröffnet wurde die Plauener Sonntagsschule vor 180 Jahren, am 22. Januar 1832. Wie ähnliche Einrichtungen in allen Teilen des Königreiches Sachsen stellte sie sich das Ziel, schulentlassenen jungen Männern, die bereits bei einem Handwerksmeister oder in einer Fabrik in die Lehre gingen, Gelegenheit zu geben, die oft bescheidene Allgemeinbildung zu erweitern und elementares Wissen für den Beruf zu erwerben. Plauen folgte damit dem Beispiel anderer sächsischer Städte wie Leipzig, Dresden, Freiberg oder Zittau, die schon anderthalb Jahrzehnte vorher begonnen hatten, auf freiwilliger Basis Lehrlinge, Gesellen und zuweilen auch Meister in Deutsch, Rechnen und vor allem Zeichnen weiterzubilden. Die Lehrgänge zielten auf eine bessere technische Ausbildung der Handwerker und Fabrikarbeiter und die Förderung ihres Gewerbefleißes. Letztlich ging es um die Befähigung, qualitativ bessere Produkte herzustellen und damit größere Absatzchancen auf den zunehmend umkämpften Märkten im In- und Ausland zu haben. Die Anregung zur Gründung von Sonntagsschulen ging von der königlichen Regierung aus, die damit dem Mangel an Gewerbeschulen abhelfen wollte. Sie stellte 1830/31 auch den vogtländischen Städten Plauen, Reichenbach, Auerbach und Oelsnitz ein Startkapital von insgesamt 333 Talern zur Verfügung, die von den genannten Kommunen auch zielgerichtet genutzt wurden. Die relativ geringe Summe reichte natürlich nirgendwo, eine solche Schule ins Leben zu rufen, so dass es vor Ort weiterer Aktivitäten bedurfte. Es mussten Persönlichkeiten des Wirtschafts- und Geisteslebens gefunden werden, die den langfristigen Nutzen dieser Bildungseinrichtung erkannten, sich dafür mit Rat und Tat einsetzten und vor allem auch privates Kapital zur Verfügung stellten. In Plauen bildete sich ein „Comité“ unter Vorsitz des Superintendenten Dr. Fiedler, dem mehrere Kaufleute, Handwerksmeister und Fabrikbesitzer angehörten. Das wichtigste Komitee-Mitglied war jedoch Christian Gottlieb Pfretzschner, der Konrektor des Plauener Lyzeums. Er konzipierte die Lehrprogramme der Sonntagsschule, die Deutsch, Rechnen, sächsische Geschichte und Freihandzeichnen umfassten. Er organisierte die Unterrichtsräume im „Voigtländischen Kreisschulhaus“ am Schulberg in unmittelbarer Nähe zur Johanniskirche, und er warb erfahrene Lehrer der Stadt für eine unentgeltliche Tätigkeit an dieser Bildungsstätte. Vor allem aber gewann Pfretzschner Fabrikanten und Handwerksmeister, die Schule finanziell zu unterstützen und ihre Lehrlinge zum freiwilligen Besuch des sonntäglichen Unterrichts anzuhalten. Die genannten Fakten erklären, warum die Schule nur sonntags arbeiten konnte. An Wochentagen hätten die Lehrlinge von ihren Arbeitgebern keine Freistellung erhalten, außerdem waren da die Schulräume den Kindern vorbehalten und die Lehrer durch ihre eigentliche Aufgabe in der Volksschule gebunden. So blieben nur die Stunden am Sonntag, freilich erst nach dem Besuch des Gottesdienstes. Das Interesse an der Eröffnung der Sonntagsschule übertraf alle Erwartungen, 254 Lehrlinge und Gesellen waren gekommen. Doch die Euphorie hielt nicht lange vor, weil bereits eine erste Prüfung der Teilnehmer ergab, dass viele nur mit Mühe lesen, geschweige denn schreiben und rechnen konnten. So war zunächst Elementarunterricht notwendig, der nicht wenige entmutigte, so dass sie der Schule fernblieben. Bis 1835 ging die Schülerzahl auf rund ein Fünftel gegenüber 1832 zurück. Doch Christian Gottlieb Pfretzschner und seine Mitstreiter ließen sich in ihren Zielen nicht beirren. Mit neuen Konzepten und neuen Lehrern, vor allem auf mathematisch-technischem Gebiet, aber auch mit allmählich besser vorgebildeten Schülern erreichten sie innerhalb kurzer Zeit einen bedeutenden Leistungsanstieg. Bereits 1836 wurde die Schule als „Gewerbliche Sonntagsschule“ im Unterschied zur „Allgemeinen Sonntagsschule“ anerkannt. In den folgenden Jahren zählte sie stets mindestens 130 Schüler, und zum 25-jährigen Jubiläum 1857 konnte Direktor Pfretzschner mit Stolz von 4117 Lehrlingen und Gesellen berichten, die bis dahin die Bildungsstätte besucht hatten. Drei Jahre zuvor hatte er einen wichtigen Erfolg zur finanziellen Absicherung der Schule erzielt. Er konnte 19 Plauener Innungen verpflichten, anstelle der bisherigen sporadischen Spenden regelmäßige Jahresbeiträge zu zahlen. Darüber hinaus erklärten sie sich auch bereit, künftig nur noch Lehrlinge einzustellen, die die nach wie vor auf freiwilliger Basis arbeitende Sonntagsschule besuchten. Die Mehrzahl der Handwerksmeister und Fabrikanten hatte erkannt, dass eine bessere Bildung ihrer Lehrlinge und Gesellen auch zu besseren Geschäftsergebnissen führt. Nach Pfretzschners Tod (1861) übernahm der Plauener Volksschullehrer Johann Gottlieb Günnel die Leitung der inzwischen zur „Handwerkerschule“ umbenannten Einrichtung. Ihm folgte 1873 im Amt der Volksschuldirektor Christian Friedrich Krause. Etwa zeitgleich erklärte das neue sächsische Volksschulgesetz vom 26. April 1873 die Fortbildung aller 14- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen zur gesetzlichen Pflicht, die in Verantwortung der Volksschule zu erfüllen war. Der Unterricht in der „Fortbildungsschule“ gehörte fortan zu den dienstlichen Aufgaben der Lehrer, und die erforderlichen Räume standen nun auch in den Abendstunden der Wochentage zur Verfügung. Die Sonntagsschule war damit hinfällig geworden, als erster Keim unserer heutigen Berufsschule sollte sie aber nicht vergessen werden.