Stickereifachschule half Weltruf sichern
Aus heutiger Sicht klingt die Geschichte wie ein schöner Traum, vor 100 Jahren war sie aber Wirklichkeit und verlangte dringend nach einer entsprechenden Klärung: Die Plauener Spitzenindustrie hatte so viele Aufträge vorliegen, daß sie beim besten Willen nicht zu bewältigen waren. Mehr noch, auch für die Zukunft sah man keine Chance, den Mangel an qualifizierten Stickern beheben zu können, so daß man Gefahr lief, viele Aufträge an die starke Konkurrenz im Ausland, vor allem in der Schweiz, zu verlieren. Guter Rat war also teuer, und er wurde mit Überlegung und Weitsicht gefunden, indem auf eine quantitativ umfangreichere und qualitativ bessere Ausbildung von Maschinenstickern gesetzt wurde. Schon 1888 hatte der Vogtländisch-erzgebirgische Industrieverein erste Pläne in dieser Richtung geäußert, und als 1894 auch der neugegründete Fabrikantenverein der Stickerei- und Spitzenindustrie Aktivitäten in gleicher Richtung entwickelte, war es bis zum Handeln nicht mehr weit. Zunächst hieß das, die nötigen Gelder für die Einrichtung einer Ausbildungs stätte aufzutreiben. Die Königliche Regierung in Dresden stellte 9000 DM als Anschubfinanzierung zur Verfügung, die Stadt Plauen 3000 DM. Die gleiche Summe spendete der Fabrikbesitzer Otto Knabe, von anderen interessierten Industriellen kamen kleinere Beträge. Die VOMAG lieferte die zunächst benötigten vier Hand- und vier Schiffchenstickmaschinen zum halben Marktpreis, und bald waren in der Hofwiesenstraße 7 auch geeignete Räumlichkeiten gefunden, in denen sie aufgestellt wurden. Am 16. Juni 1899 wurde die "Vogtländische Stickerfachschule" eröffnet, zunächst als Tochtereinrichtung der staatlichen Industrieschule, jedoch unter der Leitung eines selbständigen Ausschusses, dem mehrere Stickereifabrikanten angehörten. Die Schule verfolgte den Zweck, Hand- und Schiffchensticker, Tamburierer und Nachstickerinnen auszubilden. Bei voller Auslastung der Maschinen konnten voererst pro Jahr 34 Maschinensticker ausgebildet werden. Diese geringe Kapazität stand jedoch in keinem Verhältnis zur Nachfrage, so daß sehr schnell über eine Erweiterung der Ausbildungsräume nachgedacht werden mußte. 1901 wurde der Lehrbetrieb ausgedehnt, und ein Jahr später konnten zwei weitere Schiffchenmaschinen aufgestellt werden. In den folgenden Jahren vervollständigten Kurse zur Ausbildung von Stepperinnen für Weißwarenkonfektion das Lehrangebot, darüber hinaus ging man auch in der zeitlichen Gestaltung der Kurse neue Wege. Den bisher üblichen Tageskursen wurden auch Abendkurse zugesellt, so daß auch den unterschiedlichen beruflichen Zeitzwängen der Stickereischüler Rechnung getragen werden konnte. Doch das Gebäude in der Hofwiesenstraße erwies sich für dieses breite Ausbildungsprofil als zu klein. Am 1. Oktober 1907 wurde deshalb der erste Spatenstich für einen Neubau in der Heubnerstraße 1 vollzogen. Für etwa 120 000 Mark wurde ein Gebäude errichtet, das die Aufstellung von 16 Schiffchenstickmaschinen ermöglichte. Auch die innere Ausstattung der Schule, die sich auf 33 500 Mark belief, konnte sich sehen lassen. Die Gelder waren wiederum aus verschiedenen Quellen geflossen, knapp 20 000 Mark aber auch aus den Kassen derer, die an einer qualifizierten Ausbildung ihres Berufsnachwuchses das größte Interesse haben mußten: die Besitzer der Stickereien. Am 6. Oktober 1908 wurde das neue Gebäude in der Heubnerstraße eröffnet, gleichzeitig wurde das Profil der Schule um zwei Ausbildungsbereiche erweitert. Für die sich rasch entfaltende Schürzen- und Wäschekonfektion wurden 6wöchige Kurse für Stepperinnen eigeführt, und für die Helferinnen der Direktricen wurden halbjährige Qualifizierungskurse angeboten. Zu Beginn des ersten Weltkrieges erlebte die Stickereifachschule einen spürbaren Rückgang ihrer Schülerzahl. Die Ursachen lagen aber nicht im Krieg allein begründet, sondern auch in der beginnenden allgemeinen Flaute der Spitzenindustrie. Im Mai 1915 mußten die Abteilungen für Schiffchensticker und Kartenschlagen mangels Schüler geschlossen werden, ihre Wiedereröffnung im März 1916 erfolgte weniger aus wirtschaftlichen, sondern aus sozialen Gründen, indem sie Kriegsverletzte zu Maschinenstickern umschulte. Analog zur gesamten Spitzen- und Gardinenindustrie konnte sich die Schule in den zwanziger Jahren jedoch wieder stabilisieren. Etwa 650 Schüler in vier Abteilungen waren dafür ein deutlicher Beleg. Die Zerstörung der Stadt Plauen im zweiten Weltkrieg setzte aber auch dieser hoffnungsvollen Entwicklung ein vorläufiges Stoppzeichen.